Wenn der Eukalyptus blüh dorothea1t
ausgezeichnete Weidegründe. Nicht nur für Schafe, sondern auch für Rinder. Und Rinder bringen einen viel größeren Profit als Schafe.« Er grinste zufrieden. » Beim letzten Treck hat er sich vervierfacht. Durch die Probleme am Rufus River sind die Preise ins Astronomische gestiegen. Eigentlich müsste ich den Maraura richtig dankbar sein.«
Nachdenklich sah Dorothea auf die Karte. Nördlich des Murray River waren zahlreiche Siedlungen eingezeichnet: Macclesfield, Strathalbyn, Willunga, Hahndorf. Selbst im Norden von Adelaide reihten sich die Siedlungsnamen aneinander wie Perlen an einer Kette. Nur im Süden gähnte eine weiße Fläche. Seltsam.
» Wieso wohnt dort noch niemand?«
» Ganz einfach: weil das Gebiet erst seit Kurzem vermessen worden ist. Vorher hat man sich auf die nähere Umgebung von Adelaide konzentriert, und unter Grey wurde dann ja erst einmal alles gestoppt. Aber jetzt ist der Andrang auf das frische Weideland groß.«
» Und die Eingeborenen, die dort leben?«
Ian zuckte mit der Schulter. » Die werden sich schon daran gewöhnen. So oder so.«
» Wenn es nicht anders geht, muss Major O’Halloran die Schwarzen eben wieder Mores lehren«, warf die Dame vom Empfang ein, die das Gespräch interessiert verfolgt hatte. » Neulich hatte ich hier einen Herrn, der…«
» Mr. Rathbone, was machen Sie denn hier?« Heather sah strahlend zu ihm auf.
» Das Gleiche könnte ich dich fragen«, neckte er sie und zupfte an ihrer Zopfschleife. » Es freut mich, dass du bereits wieder auf den Beinen bist. Was hältst du davon, wenn ich euch alle zu Lacy’s einlade?«
» Ist das nicht ein bisschen zu extravagant?«, wandte Dorothea ein. » Es ist ein ganz normaler Wochentag.«
» Und wenn ich dir verriete, dass ich heute Geburtstag habe?« Ians Augen funkelten herausfordernd. » Ist es dann immer noch zu extravagant?«
» Du hast Geburtstag?« Dorothea fühlte sich wie vor den Kopf geschlagen.
» Das soll vorkommen«, erwiderte er trocken. » Macht mir die Freude und leistet mir bei einer Tasse Tee Gesellschaft. An seinem Geburtstag sollte man nicht allein feiern müssen.«
» Herzlichen Glückwunsch.« Heather kam ihr um Haaresbreite zuvor. » Wie alt wirst du denn?«
» Ich weiß es nicht genau.«
Das Mädchen sah ihn ungläubig an. » Du ziehst mich auf. Jeder Mensch weiß doch, wie alt er ist!«
» Ich nicht. Ich weiß nur den Tag«, sagte Ian ohne merkliche Gefühlsregung.
» Aber…«
» Es reicht, Heather.« Dorothea hatte sich gefangen. » Dring nicht so in Mr. Rathbone. Das ist unhöflich.– Ian, ich wünsche dir alles Gute und dass alles gelingt, was du dir vornimmst.« Sie streckte die Hand aus, und er ergriff sie. Eine ganz normale, förmliche Gratulation. Er hielt sie nur eine winzige Spur länger als angemessen. Auch die sittenstrengste Gouvernante hätte es kaum der Rede wert gefunden. Aber der Moment reichte, um in Dorotheas Innerem etwas auszulösen, was sie nicht verstand. Eine irrwitzige Sehnsucht danach, sich an Ian zu schmiegen und mit ihm zu verschmelzen. Der Moment ging vorbei. Niemand hatte etwas bemerkt. Wie auch? Die Dame an der Theke wirkte nicht so, als seien ihr solche Anflüge vertraut. Dorothea trat zwei Schritte zurück und sah sich nach ihrer kleinen Schwester um. » Wo steckt Lischen bloß?«
» Sie ist ganz hinten bei den großen Büchern mit den Bildern. Ich hole sie«, sagte Heather und verschwand zwischen den Regalen.
Dorothea nestelte verlegen an ihrem Wiener Täschchen. Ihre Handschuhe schienen die Wärme von Ians Hand gespeichert zu haben. Sie konnte sie immer noch spüren.
» Bist du sicher, dass du Lischen in eine so gefährliche Umgebung bringen willst?«, fragte sie mit gezwungener Leichtigkeit. » Nicht, dass sie sich noch den Magen verdirbt.«
» Das ist dann nicht mein Problem«, gab er zurück. » Aber ich vertraue darauf, dass du ihre Leidenschaft so weit zügeln kannst.«
» Manche Leidenschaften sind nicht zu zügeln.«
» Wirklich?« Er sah ihr tief in die Augen. So tief, dass sie erschrak. Die leise Stimme in ihrem Hinterkopf, die ihr riet, sich nicht auf schwankenden Boden zu begeben, kam nicht an gegen das verlockende Gefühl, das in ihrem Inneren ausgelöst wurde, wenn Ian sie auf diese besondere Art ansah.
» Doro, kann ich dieses Buch ausleihen?« Lischens Stimme brachte sie auf den Boden der Tatsachen zurück. » Es sind so seltsame Tiere darin.« Sie hielt ihr die aufgeschlagene Seite hin, und Dorothea sah verwundert auf die
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