Wenn der Eukalyptus blüh dorothea1t
Ekel ging der Mann dicht daran vorbei, wobei er erneut Fliegenschwärme aufscheuchte, und stieg dann, ohne sich auch nur umzusehen, ob seine Gefangene ihm folgte, weiter den Hang hinauf. Dorothea hörte die Quelle, bevor sie sie sah. Das Plätschern machte ihr bewusst, wie durstig sie war. Es war ein kleines Rinnsal, das aus einer Spalte rann, um sich in einem Becken zu sammeln. Glasklar spiegelte das Wasser den Himmel und das Blätterdach über sich wider. Dorothea stürzte darauf zu, fiel auf die Knie und beugte sich darüber, um in tiefen, hastigen Zügen so viel von dem köstlichen Nass wie möglich zu trinken.
Er ließ sie gewähren. Wartete ab, bis sie den Kopf hob und sich das triefende Kinn abwischte. » Vergiss die Wassersäcke nicht.« Mit diesen Worten drehte er ihr den Rücken zu und ging den Weg zwischen den Bäumen zurück. Dorothea füllte die Wassersäcke. Dabei handelte es sich um komplette Opossumhäute, deren Körperöffnungen abgedichtet worden waren. Voller Wasser wirkten sie wie bizarr aufgeblähte Tiere ohne Kopf. Und sie wogen mindestens so viel! Dorothea keuchte, als sie endlich mit den zwei schweren Behältern den Eingangsspalt erreichte. Ihr ehemals schickes Reitkostüm war nicht besonders geeignet für solche Aufgaben. Der weite, übermäßig lange Rock ließ sie ständig stolpern. Normalerweise trug man ihn, wenn man nicht gerade im Sattel saß, wie eine Schleppe elegant über dem Arm– aber sie brauchte beide Arme für die Wassersäcke.
Der Skelettmann hockte vor dem Feuer und erneuerte seine grauenerregende Bemalung, indem er langsam und sorgfältig die Striche mit weißer Paste aus einem Rindentöpfchen nachzog. Zu Dorotheas Verwunderung benutzte er dabei einen Spiegel. Einen hübschen Damenspiegel mit Schildpattgriff, der besser in ein elegantes Boudoir gepasst hätte. Er nahm keine Notiz von ihr, also stellte sie die Wassersäcke in geeignete Nischen an der Wand ab und zog sich in ihre Ecke zurück. Ihr Magen hatte aufgehört zu knurren, dafür war ihr jetzt ein wenig schwindlig, aber es fühlte sich nicht unangenehm an. Vielleicht vergleichbar einem leichten Schwips.
Sobald er mit seinem Werk zufrieden war, verstaute er seine Utensilien in einer Höhlung, schaufelte geschickt glühende Holzkohle in eine verbeulte Blechschüssel, die in Dorotheas Augen ganz wie eine der Schalen aussah, in denen Mrs. Perkins Küchenabfälle zu sammeln pflegte, und verschwand in der Felsspalte im hintersten Bereich der Höhle. Dorothea hatte sich schon gefragt, wohin diese Spalte wohl führte. Vielleicht ein zweiter Ausgang?
Und wofür brauchte er die Kohle?
Am Rand der Feuerstelle verstreut lagen noch Überbleibsel seines gestrigen Mahls, die er achtlos in die Asche geworfen hatte. Allzu appetitlich wirkten die angekohlten Fleischreste nicht mehr, aber wenn sie fliehen wollte, musste sie sehen, bei Kräften zu bleiben. Dorothea klaubte die Brocken auf und zwang sich, sie hinunterzuwürgen. Es war nicht viel, aber es musste reichen. Sie traute sich nicht, sich an den Vorräten zu vergreifen, die an einer Wand in Tragenetzen lagerten: Pflanzenwurzeln, getrocknete Früchte, Vogeleier. In der Hoffnung, ihn freundlich zu stimmen, machte sie sich daran, weiter den Kadaver des armen Wallachs zu zerlegen. Eine zunehmend unangenehme und schweißtreibende Arbeit. Aus der offenen Bauchhöhle drang immer wieder ein Schwall stinkender Gase. Sosehr sie sich auch bemühte, durch den Mund zu atmen– es war kaum auszuhalten. Dazu musste sie sich ständig der Ameisen und Insekten erwehren, die in unüberschaubaren Mengen die unverhoffte Nahrungsquelle ansteuerten.
Nachdem einige besonders große Ameisen unter ihre Röcke gekrochen waren und sie schmerzhaft gebissen hatten, gab sie auf. Zwei Tragenetze voll Fleisch mussten fürs Erste reichen. Sie schleppte ihre Beute in die Höhle und konstatierte überrascht, dass er immer noch nicht wieder aufgetaucht war.
Aus dem Berginneren drang undeutlich ein monotoner Singsang, in Melodie und Art, wie sie ihn von den paltis her kannte. Was zum Teufel trieb er dort hinten? Waren dort vielleicht noch andere Menschen? Menschen, die sie um Hilfe bitten konnte?
Sie nahm all ihren Mut zusammen und tastete sich den dunklen Gang entlang. Schritt für Schritt wurde der Gesang lauter. Dazu gesellte sich ein eigentümlich stechender, süßlicher Geruch. Holzrauch und noch einige andere Ingredienzen, vermutlich duftende Harze. Als ihre Fingerspitzen an weiche Haare stießen, wurde
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