Wenn der Eukalyptus blüh dorothea1t
der Decke drang ausreichend Tageslicht herein, um sich gut orientieren zu können. Unter dem niedrigsten Felsenfenster brannte ein Feuer. Daneben lagen mehrere Speere, Waddies und andere Gegenstände, deren Nutzen Dorothea nicht einordnen konnte. Erleichtert, sich von ihrer Last befreien zu können, ließ sie sie neben dem Feuer zu Boden gleiten.
» Aufspießen, rösten.« Neben der Feuerstelle lagen zugespitzte Äste. Während Dorothea sich beeilte, seiner knappen Anordnung Folge zu leisten, sah sie sich unauffällig um. Sie war noch zu schwach, und seine Drohung, ihr die Zehen abzuhacken, hatte sie so eingeschüchtert, dass sie im Augenblick keinen Fluchtversuch wagte. Aber dennoch wollte sie so viel wie möglich über ihn in Erfahrung bringen, bevor sie versuchen würde, mit ihm vernünftig zu reden. Vielleicht ließ er sie ja gegen ein Lösegeld gehen, wenn sie ihm klarmachte, dass Robert jede geforderte Summe für sie zahlen würde. Dafür könnte er sich vier oder noch mehr Frauen kaufen, von denen jede Einzelne sicher geschickter wäre als sie. Es war ihr sowieso unklar, was er von ihr wollte.
In der Nacht, als er sie gejagt hatte, war sie überzeugt gewesen, er wollte sie ermorden. Heute hätte ihn nichts daran gehindert, es zu tun. Wieso also lebte sie noch? Sam hatte er doch auch getötet. Sie schluckte, als unvermittelt die bleichen, verzerrten Züge des alten Stallknechts vor ihrem inneren Auge erschienen. Der arme Sam!
Heather musste es geschafft haben, ihm zu entkommen. Offenbar hatte er es nur auf sie abgesehen gehabt. Vorsichtig betastete sie die schmerzhafte Beule an ihrem Hinterkopf. Vermutlich hatte er sie mit einer Wurfkeule getroffen, und sie war bewusstlos vom Pferd gestürzt. Glück im Unglück, dass sie nicht mit dem Fuß im Steigbügel hängen geblieben war!
» Was willst du von mir?« Die Frage war ihr herausgerutscht, ohne dass sie bedacht hatte, dass es ihn verärgern könnte, wenn sie ihn einfach so ansprach. In der Erwartung, im nächsten Moment einen harten Schlag oder den Stich einer hölzernen Speerspitze zu verspüren, duckte sie sich ängstlich, aber es geschah nichts.
» Nichts.« Er sagte es ohne jede Emotion. Im ersten Moment glaubte Dorothea, sich verhört zu haben. Der raffiniert eingefädelte Überfall, der Mord an Sam, ihre Entführung– für nichts?
» Du bist unwichtig. Ein weißes Nichts. Ich will den Kindgeist in dir.«
Trotz ihrer Situation lachte Dorothea bitter auf. » Ich bin nicht schwanger. Du hast die Falsche entführt.«
» Du trägst einen Kindgeist in dir. Ich kann es riechen. Er ist noch sehr klein, aber er ist da.«
Der Mann war wahnsinnig! Entsetzt starrte Dorothea in sein unbewegtes Gesicht. Niemand konnte riechen, ob eine Frau schwanger war. Oder doch? Konnten Zauberer das?
» Selbst wenn du recht hättest und ich ein Kind erwartete: Was willst du von einem Kindgeist?« Irgendwie kam ihr das Ganze inzwischen so surreal vor, dass sie ihre Angst vergaß. Die Neugierde war stärker.
» Ich brauche ihn für einen Zauber.«
Ein schrecklicher Verdacht stieg in ihr auf. » Du wolltest mich gar nicht töten? Du wolltest, dass ich mein Kind verliere, damit du… Oh!« Außer sich vor Wut sprang sie auf, einen der angespitzten Äste in der Faust, um ihn ihm in den Leib zu rammen. Ein scharfer Schmerz brachte sie zur Besinnung. Ungerührt zog er seinen Speer aus ihrem Oberschenkel. » Du vergisst dich«, sagte er mit leisem Tadel in der Stimme. » Ein solches Benehmen werde ich nicht dulden. Ich sehe es dir noch einmal nach, weil du nicht weißt, wie eine Frau sich zu benehmen hat. Aber stell meine Geduld nicht noch einmal auf die Probe.«
Die Speerwunde in Dorotheas Bein brannte wie Feuer und mahnte sie zur Vorsicht. Es würde ihr nicht weiterhelfen, ihren Entführer anzugreifen. Sie hatte keine Chance gegen ihn. Körperlich war er ihr weit überlegen. Wenn sie doch wenigstens ihr Wurfmesser eingesteckt hätte!
» Dieser neue Kindgeist in dir scheint stark zu sein«, sagte er, und die Zufriedenheit in seiner Stimme war unüberhörbar. » Das ist gut. Vermutlich ist es ein männlicher. Der vorige war ein weiblicher Kindgeist. Er war natürlich zu schwach.«
» Zu schwach wofür?«
Er machte sich nicht die Mühe, ihr zu antworten. Stattdessen erhob er sich mit katzenartiger Geschmeidigkeit, um in einem weiteren Gang, der noch tiefer in den Berghang hineinführte, zu verschwinden. Kaum war er nicht mehr zu sehen, als Dorothea auch schon ihre Röcke
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