Wenn der Golem erwacht
stellvertretender Geschäftsführer bei Kradler Elektronik. Auffällig auch, dass über Robert Fuchs nichts bekannt ist. Er scheint kein Vorleben zu haben, keine Vergangenheit.«
»Soll vorkommen«, sagte ich. »Weiter!«
Das vierte Foto zeigte mich in einem hellen Anzug mit offenem Hemdkragen, reichlich verschwitzt. Eskortiert von zwei vermummten Bewaffneten in Tarnanzügen stand ich vor einer Art Urwaldkulisse.
»Kolumbien 1997. Das nationale Befreiungsheer, ELN, eine Guerillatruppe mit einstmals linkskatholischem Hintergrund, rüttelt die Weltöffentlichkeit durch zahlreiche Terrorakte auf. Sprengstoffanschläge, Morde an Politikern und Geschäftsleuten, Entführungen gleich reihenweise. Wieder wird die international tätige Kradler GmbH betroffen, die dort mit Unterstützung der Regierung ein großes Werk errichten will. Mitarbeiter von Kradler werden scheinbar gezielt entführt, auf die Werkseinrichtungen werden mehrere Anschläge verübt. Im Juni wird Robert Fuchs in Kolumbiens Hauptstadt Bogotá gesichtet, wo er mehrere Gespräche mit hochrangigen Regierungsvertretern hat. Im Folgemonat entsteht dieses Foto. Fuchs trifft sich mit der ELN-Führung und kurz darauf hören die Anschläge auf Einrichtungen und Mitarbeiter von Kradler auf.«
»Ist doch ein hübscher Erfolg«, meinte ich und versuchte vergebens, mich an Kolumbien oder den Jemen zu erinnern. Auch von einer Villa am Tegernsee wusste ich nichts. Kurz dachte ich an meinen Traum – oder meine Erinnerung: Die beiden Jungen am See. Aber ich konnte nicht sagen, ob es der Tegernsee gewesen war.
»Wirklich ein hübscher Erfolg«, wiederholte die Journalistin. »Auch diesmal gibt es ein blutiges Nachspiel. Robert Fuchs verlässt Bogotá am 28. Juli. Einen Tag später findet man die Leiche eines hohen kolumbianischen Generals, Andrés Molina, erwürgt in seinem Schlafzimmer. Bei Molina hatte Fuchs während seines Aufenthalts in Bogotá zeitweilig gewohnt, so dass er mit den Sicherheitsvorkehrungen vertraut war. General Molina galt als schärfster Gegner des ELN, das ihn wiederum an die Spitze seiner Todesliste gesetzt hatte.«
»Der Mord an Molina als Gegenleistung dafür, dass die Guérilleros die Kradler GmbH in Ruhe lassen?«, fragte ich ungläubig.
»Dieselbe Frage wollte ich Ihnen gerade stellen, Herr Fuchs. Sind Sie ein Verhandlungsgenie oder ein Killer?«
Sie fragte das ohne Spott, ohne Ironie. Ihr durchdringender Blick war mir unangenehm, und ich wich ihm aus. Ich konnte ihr die Frage nicht beantworten, konnte nicht einmal sagen, ob ich selbst die Antwort wissen wollte. Ich bat sie fortzufahren, und meine Stimme hörte sich heiser an.
Das Foto eines Büroturms vor einer hässlichen Skyline, und Rica Aden erklärte: »Frankfurt am Main im März 1998, der Firmensitz von Kradler Elektronik kurz vor seiner Schließung. Die Geschäftsleitung steht vor dem Verkauf an den INTEC-Konzern. INTEC investiert in Berlin, der Standort Frankfurt soll aufgegeben werden, Hunderte von Arbeitsplätzen stehen auf dem Spiel. Ein gewisser Gerhard Enk, Abteilungsleiter bei Kradler, sieht rot. Bewaffnet mit einer Automatik und einer Handgranate nimmt er drei hochrangige Vorstandsmitglieder als Geiseln und verschanzt sich im Büro. Die Verhandlungen der Polizei verlaufen im Sand. Enk beharrt auf seiner Forderung, der Verkauf an INTEC müsse rückgängig gemacht werden. Etwas, woran außer ihm niemand ernsthaft denkt. Auftritt Robert Fuchs. Er spricht mit Enk, erst über Telefon, dann darf er das besagte Büro betreten. Er verlässt es nach fünf Stunden mit den Geiseln. Enk bleibt zurück, mit einem Einschussloch in der Stirn. Die geretteten Geiseln sagen übereinstimmend aus, Fuchs habe in Notwehr geschossen. Anklage wegen Totschlags oder fahrlässiger Tötung wird mangels hinreichenden Tatverdachts nicht erhoben.«
Ich trank den Rest meines inzwischen nur noch lauwarmen Kaffees aus, aber das raue Gefühl in meinem Hals wollte nicht verschwinden. Mir war, als krampfte sich alles in mir zusammen. Wenn ich all das wirklich getan hatte, konnte ich verstehen, weshalb die schöne Rica mir den Betäubungscocktail gemixt und sich meinen Revolver gegriffen hatte.
»Seitdem arbeiten Sie als Troubleshooter für INTEC, werden manchmal auch an die Politik ausgeliehen. Was soll's auch im Zeitalter der Globalisierung, wo die Verflechtung zwischen wirtschaftlichen und politischen Interessen längst unentwirrbar geworden ist.«
»Daraus können Sie mir keinen Strick drehen«,
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