Wenn der Hunger erwacht (German Edition)
sie bekam Angst vor der Überzeugung, die ihr plötzlich wie ein schwerer Stein im Magen lag. Ihr brach der Schweiß aus, sie legte eine Hand auf ihr Herz, das schnell klopfte. „Ich habe Sie gewarnt, dass etwas Schreckliches passieren würde, Ian. Jetzt habe ich das entsetzliche Gefühl, dass es schon passiert ist.“
Sein Schweigen war erdrückend. Er lehnte sich an den Schrank und starrte sie an. Wahrscheinlich hielt er sie für die bekloppteste Verrückte auf Erden.
„Wieso, glauben Sie, hat Elaina ausgerechnet Sie ausgesucht?“, polterte er plötzlich mit rauer Stimme los.
„Was?“ Der Themenwechsel überrumpelte sie.
„Warum Sie ? “
„Oh, das weiß ich wirklich nicht. Ich habe keine Ahnung, warum ich diese Stimmen höre, warum sie zu mir kommen. Vielleicht ziehe ich sie auf irgendeine Art an. Vielleicht konnte Ihre Mutter sonst niemanden finden, der etwas derart Verrücktes tun würde.“ Sie redete immer schneller, mit Frustration in der Stimme. „Aber im Augenblick müssen wir über viel wichtigere Dinge reden. Haben Sie mir denn überhaupt zugehört?“
„Ja“, sagte er und goss sich noch einen Drink ein. „Ich habe zugehört.“
„Werden Sie auch bei ihr anrufen?“ Die Panik drohte sich ihrer zu bemächtigen, sie fühlte sich benommen und ihr war übel. Großer Gott, da hockte sie hier herum und stritt sich mit ihm, und eine Frau war tot. Ermordet. Sie hatte keine Ahnung, woher sie das wusste, aber sie war ganz sicher. Und genauso sicher war sie, dass das etwas mit dem Kerl zu tun hat, der da vor ihr stand und sie betrachtete, als wäre sie etwas, das er sich von der Schuhsohle kratzen wollte, um es endlich los zu sein.
„Bitte, Ian“, fügte sie hinzu, als er nicht sofort reagierte.
Seufzend stellte er das Glas ab, ging zum Telefon, das neben dem leise brummenden Kühlschrank an der Wand hing, und tippte eine Nummer ein. Er hielt sich den Hörer ans Ohr, bevor er wieder auflegte. „Sie ist nicht zu Hause“, murmelte er. „Was vermutlich heißt, sie hat sich abends in ihrem Lieblingsschuppen rumgetrieben und einen neuen Freund gefunden.“
„Oder dass etwas Furchtbares passiert ist“, widersprach Molly mit erhobenem Kinn.
Er ließ ein ungeduldiges Knurren hören. „Sie geben wohl nie auf, was?“
„Ich habe keine Zeit, hier herumzusitzen und Ihnen das alles immer wieder an den Kopf zu knallen. Sie müssen mir endlich zuhören, Sie müssen mir glauben, was ich sage, und Sie müssen mir helfen, die Dinge wieder in Ordnung zu bringen, und dann muss ich wieder nach Hause.“ Wo sie womöglich um ihren Job betteln musste, falls man sie wegen ihres plötzlichen Verschwindens gefeuert hatte. Molly konnte nur hoffen, dass die Stimmen in ihrem Kopf dann endlich mal Ruhe geben und sie in Frieden lassen würden. Zum ersten Mal in ihrem Leben.
„Wo ist das, zu Hause?“ Seine Worte rissen sie aus ihrem Selbstmitleid.
„Das ist doch jetzt nicht wichtig“, fuhr sie ihn an, frustriert über sich selbst und diese ganze entsetzliche Situation. „Werden Sie mit mir kommen, um nach Kendra zu sehen?“
Langsam schüttelte er den Kopf. „Sie machen wohl Witze.“
„Nicht im Geringsten.“
„Auf gar keinen Fall werde ich durch die finstere Nacht schleichen, weil Sie meinen, da draußen wäre der Butzemann. Kommen Sie wieder zu sich.“
„Schön. Wenn Sie es so haben wollen, werde ich eben allein gehen.“
Sie stand auf, marschierte aus der Küche und durch das Wohnzimmer, als er sie plötzlich am Arm packte und herumwirbelte. Seine langen Finger gruben sich tief in ihre Haut. „Sind Sie wahnsinnig?“
„Sie glauben mir nicht. Halten mich für verrückt. Na prima. Was geht es Sie an, ob ich im Dunkeln herumwandere?“
„Sie gehen nirgendwo hin“, grollte er zornig, „außer dahin zurück, wo Sie hergekommen sind.“
„Da liegen Sie falsch. Ich kann tun und lassen, was mir gefällt. Was immer nötig ist, um Ihre Mutter endlich aus meinem Kopf zu kriegen.“
„Lieber Himmel“, grunzte er und ließ sie los. Er rieb sich das kratzige Kinn; dann sagte er leise: „Der Sheriff wird sich kaputtlachen, wenn er herausfindet, dass ich mich von einer Nervensäge wie Ihnen mitten in der Nacht aus dem Haus habe schleppen lassen.“
„Machen Sie sich da mal keine Sorgen“, flüsterte sie und versuchte, sich die Erleichterung über seine Meinungsänderung nicht anmerken zu lassen. Sie war nicht gerade begeistert davon, noch mehr Zeit mit ihm zu verbringen, solange er darauf
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