Wenn der Hunger erwacht (German Edition)
Kleinlaster, neben dem ihr kleiner blauer Mietwagen stand, der im Mondlicht auch nicht besser aussah als in der Sonne.
Er bedachte sie mit seinem finstersten Blick, in der Hoffnung, dass sie wirklich zuhören würde. „Fahren Sie dahin zurück, schließen Sie alle Fenster, verriegeln Sie die Tür, und machen Sie niemandem auf. Haben Sie verstanden?“
Mit erhobenem Kinn schloss sie den Wagen auf und rutschte hinters Steuer. Plötzlich erschien sie ihm noch winziger in dieser mitgenommenen Kiste, zu fragil, zerbrechlich. „Keine Sorge. Ich kann schon auf mich aufpassen.“
Ian merkte deutlich, dass sein zweifelhaftes Brummen ihr mehr auf die Nerven ging als jede schnippische Bemerkung, die er hätte machen können.
„Wann sehe ich Sie wieder?“, platzte sie heraus, als er sich abwenden wollte.
Er schüttelte den Kopf und steckte die Hände in die Taschen, bevor er noch etwas Blödes damit anstellen konnte. Zum Beispiel, sie anfassen. „Überhaupt nicht.“
„Ian …“
„Bleiben Sie mir vom Hals“, schnitt er ihr das Wort ab. „Gleich morgen früh schwingen Sie Ihren Arsch wieder in diese Karre und fahren dahin zurück, wo Sie hergekommen sind. Kapiert?“
„Ich bin ja nicht taub.“
„Nee“, krächzte er, „bloß wahnsinnig.“
„Ich bin nicht verrückt. Ich wünschte, ich wäre es. Und außerdem werde ich nicht abhauen. Nicht, bevor wir hier nicht wieder alles in Ordnung gebracht haben.“
„Verschwinden Sie aus der Stadt, Miss Stratton.“ Er unterstrich diesen Befehl mit einem finsteren, warnenden Blick und schlug ihre Autotür zu. Ian wartete, bis sie den Motor anließ, auf die Straße bog und ihre Rücklichter verschwunden waren, bevor er in seinen Laster stieg.
Einen Augenblick starrte er in die Finsternis, in Gedanken verloren. Er fragte sich, ob er diese verrückte Kuh noch einmal wiedersehen würde. Er hoffte, sie wäre wenigstens schlau genug, das zu tun, was er gesagt hatte, bevor alles noch schlimmer wurde, als es eh schon war. Wenn sie recht hatte, wenn tatsächlich irgendwer, irgendwas mit Mordabsichten hinter ihm her war, könnte sie am Ende tot sein.
Er rammte den Schlüssel in das Zündschloss, gab Gas und raste in die Nacht.
5. KAPITEL
Samstagnachmittag
Die beschissene Nacht war zu einem zermürbenden Tag geworden, jede Spur, der sie folgten, hatte im Nichts geendet. Erst am späten Nachmittag war Ian endlich wieder in seinem Apartment. Während die Spurensicherer den grauenerregenden Tatort absuchten, hatte er höllische Stunden damit verbracht, Riley dabei zu helfen, sämtliche Schritte von Kendra in ihrer letzten Nacht zurückzuverfolgen, mit jedem ihrer Bekannten zu reden, den sie auftreiben konnten, und alle Details über ihr Privatleben herauszufinden. Es war beinahe peinlich, wie wenig er seinem Bruder über die Frau erzählen konnte, die er nun schon fast sechs Monate kannte. Ein paar Leute erinnerten sich daran, dass sie mit einem blonden Typ verschwunden war, aber niemand kannte seinen Namen. Eine Kellnerin, die wieder zu ihrer Schicht erschien, bezeichnete ihn als „lecker“, und der Barkeeper konnte seine Augen beschreiben.
„Wie die von einem Schlittenhund. Dieses kalte Eisblau. Wissen Sie, was ich meine?“
Es hatte einen seltsamen Augenblick gegeben, als Riley vor seinem Apartmenthaus hielt, um ihn rauszulassen. Die Frustration stand ihm ins Gesicht geschrieben, und er suchte nach den richtigen Worten. Dann war er sich durchs struppige Haar gefahren und hatte gefragt: „Bist du je in diesem Lagerraum drüben in Mountain Creek gewesen?“
Nach Elainas Beerdigung hatte Riley ihren persönlichen Besitz hierher nach Colorado verfrachtet und in der Nähe eingelagert. Anstatt das kleine Haus zu verkaufen, das seit Generationen im Besitz ihrer Familie war, hatte er es mit einigen Möbeln bewohnbar zurückgelassen – weil laut Riley ihre Schwester Saige mit dem Gedanken spielte, hin und wieder einige Zeit dort zu verbringen, wenn sie nicht gerade die ganze Welt nach irgendwelchem Zeug absuchte. Alles Übrige war nach Colorado gebracht worden, darunter einige Sachen, von denen Elaina offenbar gewollte hatte, dass Ian sie bekommen sollte. Nicht dass er das geringste Interesse daran gehabt hätte. Deshalb hatte er Riley auch gebeten, diese Sachen zusammen mit dem ganzen anderen Kram irgendwo zu speichern, und genau das hatte Riley getan. Dann hatte Riley ihm die Schlüssel zu dem Lagerraum gegeben; vielleicht würde er sich ja eines Tages mal ansehen
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