Wenn der Hunger erwacht (German Edition)
verhindern, dass die langen Klauen ihm die Kehle aufschlitzten. Plötzlich warf es sich ihm mit ganzem Gewicht entgegen und knallte ihn gegen den dicken Stamm einer Pinie. Es blies Ian seinen fauligen Atem ins Gesicht und beugte sich vor, bis sich fast ihre Nasen berührten. Ian konnte seine eigenen mysteriös glühenden Augen in den geweiteten eisblauen Pupillen reflektiert sehen.
„Du trägst den Talisman nicht“, grunzte das Monster und senkte den eisblauen Blick suchend zu seinem Hals. Ian wollte sich befreien, das Wesen blickte wieder auf, und ein klebriges Grinsen machte sich auf dem grotesk verzerrten Maul breit. „Weißt du, die brünette Schlampe hat nach dir gerufen. Als ich ganz tief in ihr drin war, hat sie dich um Hilfe angefleht … aber du bist nicht gekommen.“
„Du Schwein“, stieß Ian hervor, mörderische Wut überwältigte ihn. Ian wollte das Wesen an den Schultern zurückstoßen, aber seine regennasse Haut war zu glatt und glitschig.
„Ob deine neue kleine Blondine wohl auch so betteln wird? Eigentlich erbärmlich, wenn man es bedenkt. Wer könnte von dir erwarten, sie zu retten, wenn du dich nicht einmal selber retten kannst?“
„Du wirst ihr nichts antun!“, brüllte Ian und versuchte wieder ergebnislos, sich zu befreien.
„Ach ja? Und wer soll mich daran hindern? Du etwa?“ Das Monster riss den Kopf zurück, lachte lauthals und legte ihm eine Klaue um den Hals. „Ich bitte dich. In dem Augenblick, in dem ich beschließe, dass sie sterben soll, wird sie sterben. So einfach ist das. Sie wird nach dir schreiend ausbluten, und es gibt absolut überhaupt nichts, was du dagegen tun kannst.“
Ian keuchte und umklammerte das Handgelenk des Wesens. Plötzlich verdunkelte eine Art roter Schleier sein Blickfeld. Er schien in ihm selbst aufzusteigen, aus den finstersten, tödlichsten Tiefen seiner Seele, und von bösartiger, nie gekannter Wut zu sein. Dieses Mal kämpfte er nicht dagegen an, sondern ließ sich treiben, und als der Augenblick der Verwandlung beinahe gekommen war, atmete er aus.
Mit gutturalem Knurren fasste er die dargebotene Kehle des Viechs ins Auge, und als seine Reißzähne aus dem Zahnfleisch glitten, fuhr er mit der Zunge um die tödliche Spitze des verlängerten Fangs. Schon bei dem Gedanken, ihm die Kehle aus dem Hals zu reißen, hatte er den Geschmack auf der Zunge.
Aber bevor er angreifen konnte, ließ der Casus ihn plötzlich los und trat zurück. Den gigantischen Schädel weit zurückgelegt, ließ er sich den Regen in die abscheuliche Fratze klatschen und schnüffelte, einmal … zweimal. Mit schwarzen Lippen fletschte er die Zähne, aus den Tiefen seiner Brust drang ein sadistisches Grollen.
Er blickte zurück zu Ian, schüttelte den Kopf und verzog das Maul. „Nächstes Mal wirst du nicht so viel Glück haben, Merrick“, krächzte er, dann drehte er sich mit spöttischem Lächeln um und verschwand im dichten Regen, der sich aus dem nächtlichen Himmel ergoss.
7. KAPITEL
Sonntag, ein Uhr morgens
Am Rande des Zusammenbruchs schleppte sich Ian weiter durch den sturmgepeitschten Wald, entschlossen, sein Ziel zu erreichen, bevor er von der Erschöpfung überwältigt wurde. Sobald der Casus verschwunden war, hatten sich seine tödlichen Krallen ungeheuer schmerzhaft wieder in seine Fingerspitzen zurückgezogen; auch seine Muskeln, Zähne und Knochen nahmen ihre normale Größe an, so wie sie vor dem Traum gewesen waren. Diese Verwandlung war mit niederschmetternder Müdigkeit verbunden, und die Wunden, die der Casus ihm zugefügt hatte, brannten wie flüssiges Feuer. Der Weg schien kein Ende zu nehmen, jeder Schritt fiel ihm schwerer als der letzte, aber endlich stolperte er aus dem Wald. Ian fand sich in den Außenbezirken der Stadt wieder, das heruntergekommene Gebäude vor ihm war kein anderes als das Pine Motel.
Der Preis war hoch gewesen, aber er hatte es bis zu Molly geschafft.
Nach der Auseinandersetzung mit dem Casus hätte er eigentlich sonst wohin gehen sollen, nur nicht hierher. Falls er ihm folgte, hätte er ihn direkt zu ihr geführt, aber trotzdem musste Ian ihr von der Drohung erzählen, die das Monster ausgestoßen hatte. Musste feststellen, dass es ihr gut ging. Musste sichergehen, dass der Casus sie nicht längst geschnappt hatte.
Außerdem willst du bei ihr sein. Sie berühren. Nah genug, um sie beschützen zu können.
Leise fluchend wegen dieser verwirrenden Stimme in seinem Kopf, überquerte er den leeren Highway. Den Geruch von
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