Wenn der Hunger erwacht (German Edition)
Schicksal. Kismet. Blinder, blöder Zufall. Ich weiß selber nicht, was es ist, und es ist mir auch egal. So viel Schiss ich auch habe, das hier zu vermasseln – ich weiß einfach, dass es sinnlos ist, mich selbst davon überzeugen zu wollen, dass du ein Fehler wärst. Ich habe nicht das Gefühl, dass du ein Fehler bist. Auf eine ganz komische, wunderbare Art habe ich das Gefühl, das du das Beste bist, was mir je passiert ist.“
Lange Zeit stand er einfach nur da, starrte sie an, das Verlangen in seinen dunkelblauen Augen war so stark und wild, sie hätte ihn beinahe angeschrien: Nun nimm mich doch. Seine Mundwinkel zuckten, er berührte ihr Gesicht, fing mit dem Daumen eine Träne auf.
Doch auf einen Schlag verhärtete sich sein Gesicht, als würde eine schwarze Wolke die Sonne bedecken. Er trat einen Schritt zurück, seine Stimme ließ sie frösteln bis ins Mark. „Ich bin nie das Beste, das irgendwem passiert“, murmelte er. „Falls du glaubst, du hättest nur eine Chance, verschwende sie nicht bei mir, Molly. Du wirst es doch nur bedauern.“
14. KAPITEL
Ravenswing, Montagnachmittag
Von den Watchmen ausgebildet zu werden war echt scheußlich. Seit sieben Stunden traten sie Ian nun schon ständig in den Arsch, er war so oft zu Boden gegangen, dass er vermutlich überall blaue Flecken hatte. Alles tat ihm weh, er schwitzte wie ein Schwein und war überhaupt stinksauer. Die anderen wechselten sich ab, und mit jedem Schlag und Tritt, den er abkriegte, wurde seine Laune schlechter.
Nachdem Quinn mit ihm fertig war, übernahm Aiden Shrader, der die letzten zwei Stunden zu den schmerzhaftesten machte, die Ian je erlebt hatte. Quinn war wenigstens noch hauptsächlich daran interessiert gewesen, ihm zu zeigen, wie man gegen etwas kämpfen konnte, das kein Mensch war. Und daran, ihn auf die Zeit vorzubereiten, wenn sein eigener Körper sich in einen Merrick verwandeln würde. Shrader hingegen schien entschlossen, ihm die Scheiße aus dem Leib zu prügeln. Der Kerl war mindestens fünf Zentimeter größer als Ian, massiv gebaut, auf seine Muskeln waren noch mehr Muskeln draufgepackt, und außerdem führte er sich auf wie der letzte Klugscheißer. Sein karamellfarbenes Haar fiel ihm zottig bis auf die Schultern, haselnussbraune Augen blitzten in einem Gesicht, mit dem er vermutlich jede Frau flachlegen konnte, die er haben wollte.
Shraders Unterarme waren bis zu den Ellbogen tätowiert mit keltischen und heidnischen Symbolen, die auch seine Knöchel bedeckten. Ian kannte diese Symbole inzwischen auswendig, so oft waren sie ihm ins Gesicht gerammt worden. Der einzige erfreuliche Augenblick dieses Nachmittags kam, als er es nicht nur schaffte, Shrader die Lippe aufzuschlagen, sondern ihm auch noch ein blaues Auge zu verpassen.
Jetzt tänzelten sie seit einer Minute oder so umeinander herum, kamen langsam wieder zu Atem. Plötzlich sprang der Watchman ihn wie aus dem Nichts an, und beide stürzten zu Boden. Die aufsteigende Staubwolke schien sie zu verschlucken, ihre Körper rollten auf dem Sandplatz übereinander, die Gliedmaßen verschlungen, keiner konnte den anderen unterkriegen. Vom Hauptgebäude aus war der Trainingsplatz nicht zu sehen, er lag versteckt hinter einer langen, L-förmigen Garage mit einer beeindruckenden Ansammlung verschiedenster Fahrzeuge.
Die Welt drehte sich nur noch um die beiden Gestalten, als Ian plötzlich spürte, wie sich scharfe Zähne in seinen Unterarm gruben. Er schrie auf vor Schmerz. Dieser Bastard hatte ihn tatsächlich gebissen.
„Was zum Teufel sollte das denn?“, stieß er wütend hervor. Shrader ging neben ihm in die Hocke und wischte sich mit dem tätowierten Handrücken übers Gesicht. Der Watchman grinste hämisch, und die Nachmittagssonne blitzte in den Spitzen seiner unheimlich scharfen Hauer. „Nur damit du mal merkst, womit du es zu tun kriegen wirst“, meinte er ganz unschuldig.
„Was, mit dem bösen Wolf?“ Ian setzte sich auf, inspizierte die Wunde und rieb das Blut an seiner Jeans ab, ständig fluchend. Quinn hatte versucht, ihm beizubringen, die Klauen und Fänge des Merrick schon zu Übungszwecken heraustreten zu lassen, aber durch bloße Willenskraft schaffte Ian das nicht – weshalb er nicht Gleiches mit Gleichem vergelten konnte.
„Ich bin kein Wolf“, sagte Aiden voller Abscheu und verzog dabei den Mund. „Meinst du, so wie ich würde ein Wolf aussehen?“
Ian musterte ihn aus schmalen Augen. „Wenn du kein Wolf bist, was bist du denn
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