Wenn der Keks redet, haben die Krümel Pause
gewissen Grad selbst wählen. So konnte ich Sport, Biologie und Kunst endlich loswerden oder es so einrichten, dass sie nicht in die Abiturwertung eingingen.
Dabei mag ich Kunst eigentlich. Es ist ein angenehmes Fach, in dem man auch mal mit seinem Sitznachbarn quatschen darf, während man auf seinem Bild herumpinselt oder mit Ton herummatscht. Kreativ zu sein macht Spaß.
Wenn man es allerdings auf Ansage einer Kunstlehrerin sein
muss
, wird eher das Gegenteil daraus, und jegliche Kreativität wird im Keim erstickt – zumindest ging es mir so. Abgesehen davon liegt meine Begabung offensichtlich nicht im Anmischen von Farben. Leider hatte meine Kunstlehrerin Frau Mainzer aber ausgerechnet für Wasserfarben ein ausgeprägtes Faible.
«Malt bitte ein Meer mit Himmel und zeigt durch verschiedene Blautöne die Abstufung des Lichts im Wasser und in der Luft», war beispielsweise eine ihrer Lieblingsaufgaben. Diese wurde in etlichen Variationen wiederholt. Es folgten unter anderem noch «Sandsturm in der Wüste» (braun-gelb!), «Laubwald von oben» (grün!) und «Schwein im Flamingogehege» (rosa!).
Im Zeitalter von digitaler Fotografie, Bildbearbeitungsprogrammen und Internet eine völlig überflüssige Aufgabenstellung. Wenn Frau Mainzer gerne ein «Meer mit Himmel»-Bild sehen möchte, dann soll sie ihren Wunsch einfach bei Facebook posten. Irgendeiner ihrer Kontakte wird ja wohl am Wasser wohnen und kurz mit einer Digitalkamera bewaffnet das genannte Motiv ablichten können. Bei den modernen Kameras gibt es doch sogar spezielle Einstellungen für Landschaftsaufnahmen oder Sonnenuntergänge. Das Ergebnis wird mit Sicherheit tausendmal schöner, als wenn irgendein Schüler das malen würde.
Gut, wahrscheinlich hatte Frau Mainzer einfach keinen Facebook-Account. Dann könnte sie das Motiv einfach googeln. Wenn ich ein Bild von einem Meer mit Himmel haben will, dann gebe ich das bei «Google-Bilder» ein und bekomme 1080000 Ergebnisse. Darunter viele Fotos und auch einige Gemälde von «Meer mit Himmel». Es haben also offensichtlich schon sehr viele Menschen ein «Meer mit Himmel» gemalt. Warum um alles in der Welt soll ich jetzt auch noch eines aufs Papier klecksen?! Und das in minderer Qualität? Das ist alles andere als wirtschaftlich. Der Markt für «Meer mit Himmel» ist doch längst gesättigt.
Vielleicht mag der eine oder andere jetzt einwenden, dass man im Kunstunterricht ja auch nur die Grundlagen des Zeichnens lernen soll. Wenn man allerdings die Menge der misslungenen, in den Papierkorb geworfenen Malversuche betrachtet, haben ich und viele andere Schüler wohl eher die Grundlage für Rekordgewinne der Papierindustrie gelegt.
Aber was soll’s, wir waren schließlich in der Schule. Also schaute ich in meinem Wasserfarbkasten nach verschiedenen Blautönen und stellte fest, dass ich genau zwei davon hatte. Nämlich Cyanblau und Ultramarinblau. Außerdem war da noch ein ziemlich verdrecktes Dunkelgrün, das wohl auch als Blau durchgehen würde, wenn ich es mit dem anderen Blau verschmieren würde. Ich schielte zu meinen Sitznachbarn, die begannen, mit Weiß und Schwarz zu hantieren, und auf diese Art und Weise verschiedene Abstufungen in ihre Blautöne brachten. Durch den Einsatz von viel oder wenig Wasser variierten sie die noch einmal. Ich versuchte, es ihnen nachzumachen, nur um festzustellen, dass immer wieder die gleichen Farben entstanden. Als ich daraufhin mehr Wasser nahm, weichte mein Blatt ein und wellte sich, was das Tuschen zusätzlich erschwerte und mir Kritik von Frau Mainzer einbrachte. Mein Argument, das Blatt sei extra so wellig, weil ich ja schließlich das Meer darstellen wollte, wurde durch die zugegebenermaßen ziemlich pfiffige Frage, warum mein Himmel denn auch Wellen hätte, zunichtegemacht.
Frau Mainzer war sich sicher, dass es mir nur deshalb nicht gelang, ein vernünftiges Bild zu malen, weil ich nicht richtig zugehört hatte. Dass ich trotz ihrer göttlichen Gabe, Schülern das Malen beizubringen, versagte, passte nicht in ihr Weltbild und war nur durch Verfehlungen meinerseits zu erklären. Sie hatte das Selbstbewusstsein zu behaupten, jeden noch so untalentierten, farbenblinden künstlerischen Vollidioten zu einem wahren Picasso machen zu können. Um es abzukürzen: Sie konnte es nicht. Entweder litt sie an maßloser Selbstüberschätzung – oder ich war tatsächlich die Ausnahme, die die Regel bestätigte.
Ich war unter ihrer Würde. Schließlich war sie eine große
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