Wenn der Keks redet, haben die Krümel Pause
ferngehalten werden. Auch die Gründung eines Schulsicherheitsdienstes, der Schusi, wäre ganz im Sinne einiger Lehrer. Bleibt nur zu hoffen, dass diese Lehrer nicht irgendwann Lehrraum im Osten einfordern.
Denn dann müssten die Schüler erst recht im Untergrund arbeiten, worauf sich viele mit einer gewieften Guerillataktik schon zu meiner Schulzeit vorbereitet haben. Durch kleine und große Streiche wurde stets versucht, die Autorität eines Lehrers zu untergraben. Das fing damit an, dass wir im Unterricht, wenn der Lehrer sich zur Tafel drehte, einen Ball hin und her warfen. Bis dahin nicht sehr bedrohlich, aber irgendwann kam Orhan auf die Idee, mit dem Ball auf eine Stelle an der Tafel neben dem Kopf des Lehrers zu zielen. Nur leider blieb es nicht beim Zielen. Er warf. Der Ball flog mit hoher Geschwindigkeit durch die Luft und landete mit der Präzision eines Marschflugkörpers am Hinterkopf der nichtsahnenden Lehrkraft, die mit der Nase voran der Tafel näher kam, als ihr lieb war.
Die Klasse schwieg, der Lehrer blutete, und Orhan schaute möglichst unschuldig aus dem Fenster, was ihn natürlich sofort verriet. Das gab Ärger, eine Standpauke beim Schulleiter und einen deftigen Brief an die Eltern. Aber in der Schülerschaft war Orhan ein Held. Ein Kämpfer für Freiheit und Ehre aller Schüler gegen die schulbedingte Unterdrückung. Seine Tat war der Auftakt für eine ganze Reihe von Streichen, und ich hätte gerne gewusst, wie viele davon von unternehmungslustigen Eltern, die sich beim gemeinsamen familiären Abendbrot an ihre Schulzeit erinnerten, inspiriert gewesen sind.
Da wurden Papierkügelchen geworfen, Klassenraumtüren mit Schultaschen verbarrikadiert und nasse Tafelschwämme auf Lehrerstühlen platziert. Ein Schüler war sogar auf die Idee gekommen, bei einer Lehrkraft, die immer mit der flachen Hand auf den Tisch haute, um sich Ruhe zu verschaffen, Reißzwecken unter einem Blatt auf diesen Tisch zu legen. Keine gute Idee, wie sich herausstellte …
Wesentlich harmloser und kreativer erwiesen sich Fabio und Thomas, die am Mittwoch vor einem durch einen Feier- und Brückentag verlängerten Wochenende ihren Anschlag vorbereiteten. Sie nutzten einen Moment, als Herr Löchel den Raum verlassen hatte, um etwas zu erledigen, nahmen den Tafelschwamm, machten ihn ordentlich nass und streuten eine ganze Packung Kressesamen auf den Schwamm. Die Kressesamen drückten sie tief in den Schwamm, und so blieben sie unbemerkt.
Am nächsten Montag hatten wir dann in der ersten Stunde mit Herrn Löchel Unterricht. Die Tafel war noch von der letzten Woche voll beschrieben. Herr Löchel, der niemals Schüler die Tafel wischen ließ, weil die das seiner Meinung nach nicht sorgfältig genug machten, nahm ohne groß hinzusehen den Schwamm – und griff in einen kleinen grünen Wald von gerade erst gesprossenen Kressepflanzen. Der Schwamm war nicht mehr zu gebrauchen. Wir hatten unseren Spaß. Herr Löchel aber wollte sich nicht bloßstellen lassen und beschloss, trotzdem mit dem Schwamm die Tafel zu wischen. Warum haben Lehrer manchmal einen so falschen Stolz?
Das Ergebnis war ein erneuter Lacher unsererseits. Die gesamte Tafel war nun mit Kressepflänzchen und noch nicht gesprossenen Samen überzogen, die sich aus dem Schwamm herauslösten. Eine schöne Bescherung.
Damit war der Wettbewerb um die kreativste Streichidee mit Tafelschwämmen aber gerade erst eröffnet. Mein Favorit neben im Schwamm platzierter Farbe und Zucker war das Verstecken von Brausepulver in einem trockenen Schwamm. Wenn der Lehrer ihn dann zwecks Tafelsäuberung nass machte … – ein Spaß für die ganze Familie. Lehrer ausgeschlossen.
Solche Streiche sind natürlich mehr als nur jugendlicher Unsinn. Diese Aktionen sind für Schüler ein Ventil, um ihren Rachegefühlen endlich freien Lauf zu lassen. Nebenbei haben wir dabei wahrscheinlich den Umsatz der Tafelschwammindustrie mal eben verdoppelt.
Außerdem war das unsere Art, unseren Unmut zu zeigen. Wenn Schüler unser Beruf war, dann hatten wir auch das Recht auf gewerkschaftliche Aktivitäten oder einen ordentlich gewählten Betriebsrat. Jeder normale Arbeiter kann streiken. Ohne diese Privilegien werden Schüler es niemals aufgeben, den Kampf um Klassenhoheit und Kreidefreiheit fortzusetzen. Viva la revolución!
Bulimie-Lernen
Rund um eine Klassenarbeit oder Klausur entwickeln Schüler ein typisches, wenn auch recht merkwürdiges Verhalten, zu dem es gehört, das eigene Wissen und
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