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Wenn der Keks redet, haben die Krümel Pause

Wenn der Keks redet, haben die Krümel Pause

Titel: Wenn der Keks redet, haben die Krümel Pause Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Malte Pieper
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man sich dann heroisch aus den Federn gequält, wird man aufgehalten, weil die Schwester im Bad dann doch wieder länger braucht als geplant. Zudem hat man als Radfahrer auch noch einige Lehrer als natürliche Feinde. Statt das umweltbewusste Fortbewegungsmittel zu loben, sehen sie darin eine neue Möglichkeit der Regulierung. Daher die ganz wichtige Regel: Auf dem Schulgelände absteigen. Damit man ja niemanden umfährt. Vor dem Schultor steigen alle Fahrradfahrer freilich sofort auf, aber da kümmert es den Lehrer nicht mehr, denn das ist nicht mehr seine Abteilung. Das hat alles versicherungstechnische Gründe.
    Sowieso wird jedes Verbot mindestens ein Mal in der Schullaufbahn damit begründet, dass die Versicherung schuld ist. Die böse, böse Versicherung, keinesfalls die Schule oder der Lehrer. Nein. Die furchtbaren kapitalistischen Elemente der Versicherungsgesellschaft. Warum dürfen Schüler nicht unbeaufsichtigt sein? Wegen der Versicherung. Warum darf man bei Klassenausflügen ans Meer nur knietief ins Wasser? Die Versicherung ist der Spielverderber. Und so ist eben der Schüler, wenn er sich auf dem Schulgelände befindet, nur versichert, wenn der Lehrer für die Einhaltung der Regeln sorgt. Oder so. So ganz genau wissen das wahrscheinlich weder die Schule noch die Versicherung.
    Also immer brav absteigen, und wenn am Schultor beim Aufsteigen ein Unfall passieren sollte, weil dort alle aufsteigen und das Gedränge dementsprechend groß ist: Bitte beim Auf-die-Schnauze-fliegen darauf achten, nicht zurück auf das Schulgelände zu fallen. Das wäre sonst ein ganz kniffliger Versicherungsfall.
    Auf welches Transportmittel könnte man denn versicherungstechnisch sicher zurückgreifen? Richtig, auf den Bus. Es sei denn, man zieht Eselkarren oder Tretautos vor.
    Aber ein Vergnügen ist die Fahrt in so einem Schulbus auch nicht. Es ist eng, voll, laut und stickig und das dummerweise jeden Morgen. Manche machen noch im Bus Teile ihrer Hausaufgaben, andere probieren aus, wie oft man die sich gerade schließende Tür blockieren kann, bis der Busfahrer kommt und einen rausschmeißt. Je nachdem, von wo man kommt, durchquert man mit dem Bus gefühlt die ganze Stadt und hält dabei an jeder Gießkanne, die entfernt nach Haltestelle aussieht. Kleine Kinder schreiben mit Edding Wörter aus dem Sexual- und Analbereich auf Fensterscheiben und Sitze, ein Junge mit offensichtlich nicht-deutscher Herkunft malt ein Hakenkreuz auf ein Sitzpolster. Aus mehreren Handys dröhnt laute Hip-Hop-Musik, einige Schüler rappen mit, obwohl sie den englischen Text weder kennen noch verstehen, und ersetzen die Wörter, die sie nicht kapieren, durch ein enthusiastisch vorgetragenes «Yeah»: «Yo, I am the, yeah, in the block. You motherfuckers can’t, yeah, yeah, yeah, me, yeah, yeah. You bitch, yeah, yeah.» Die Botschaft des Liedes bleibt im Dunkeln. Vielleicht besser so.
    An jeder Haltestelle mahnt der Busfahrer in immer wütender werdendem Tonfall, man solle doch bitte nach hinten durchgehen. Die Schüler reagieren routiniert: «Ey, Alter, halt’s Maul, du Opfer!»
    Im hinteren Teil des Busses beschweren sich ein paar Mädchen, dass sie sich gar nicht in Ruhe schminken könnten, weil einige Jungen eine Schlägerei begonnen haben. Eine Seniorin, die sich in den Bus verirrt hat, beschließt in diesem Moment, eine Bank zu überfallen, um genug Geld für ihren Lebensabend zu haben. Bei diesen Kindern sieht sie schwarz, was die Bezahlung ihrer Rente angeht.
    Diesen Alltag erleben viele Schüler Tag für Tag auf kilometerlangen Schulwegen, und die Busunternehmen geben dafür noch nicht mal Bonus- oder Treuepunkte. Stattdessen entwerfen sie Werbekampagnen, die jeden Schüler wohl zur Weißglut treiben müssen. Was gibt es Schlimmeres, als nach einem anstrengenden Schultag bei heißen Außentemperaturen noch für eine Stunde in den Bus zu müssen, damit man endlich nach Hause kommt? Und was titelt das Aachener Busunternehmen auf seinen Werbeplakaten: «Freiheit – nach der Schule in den Bus.» Was für ein Zynismus! Wie frei ist man, wenn man gezwungen ist, dieses Transportmittel zu benutzen? Und warum ist es trotz dieser bescheuerten Werbung verboten, diese Plakate von der Wand zu reißen?
    Treffender wäre gewesen: «Odyssee mit Ekelgarantie – Busfahren in der Rushhour» oder ganz einfach: «Bääääh – der Bus stinkt nach toter Ratte.» An diesen Botschaften wäre wenigstens etwas dran gewesen. Ob sich damit die Abonnementzahlen

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