Wenn der Keks redet, haben die Krümel Pause
es auch, dass in der Oberstufe viele Schüler aus sehr wichtigen und triftigen Gründen – meistens Schlafbedürfnis – am Tag der Offenen Tür zu Hause blieben. Wenn man über achtzehn war, konnte man sich ja selbst entschuldigen, und die Eltern fragten an einem Samstag bestimmt nicht nach, ob man nicht zur Schule müsste. So hatte der Tag der Offenen Tür auch noch etwas Gutes, schläft es sich doch viel angenehmer aus als sonst, wenn man weiß: Eigentlich müsste ich in der Schule sitzen.
Ich hätte eine Idee für kommende Schulwerbeveranstaltungen: Warum nicht mal einen professionellen Werbespot für eine Schule produzieren? Ein Imagefilm mit lauter fröhlichen Menschen und total pfiffigen Werbeslogans. Zusätzlich wird das Ganze statt mit «Wind of change» mit «Wind of Schule» unterlegt oder frei nach Udo Jürgens mit «Aber bitte mit Schule». Am Ende kommt Thomas Gottschalk ins Bild gelaufen, und ein Kinderchor singt: «Bildung macht die Schüler froh und die Eltern ebenso!» Das wäre doch ein schöner Spaß.
Bis es so weit ist, geht es am Tag der Offenen Tür mit den üblichen Fächerpräsentationen und Fotos von Auslandsschüleraustauschen weiter. Am Schluss finden sich dann alle in der eigens für diesen Tag angelegten Cafeteria wieder – erst das Essen, dann die Bildung.
Laufen, Werfen, Springen
Was darf im Schulalltag niemals fehlen? Genau. Die sportliche Betätigung. Und vor allem nicht der sportliche Wettkampf. Schließlich gilt es, die Schulkinder möglichst früh olympiareif zu trainieren und sie, falls das fehlschlägt, zumindest mit einem zentralen Grundsatz des Kapitalismus vertraut zu machen: dem Wettbewerb. Deshalb erfand man einst die Bundesjugendspiele.
Was dabei eigentlich das Spielerische sein soll, hat sich mir allerdings nie erschlossen. Bundesjugendspiele sind Folter. Man hängt den ganzen Tag auf einem abgewrackten Sportplatz rum, auf dem schon im neunzehnten Jahrhundert Sportveranstaltungen und gemeinschaftliche Turnübungen zu Ehren des Kaisers stattgefunden haben, und muss ab und zu eine bestimmte Strecke laufen, einen Ball werfen oder in eine Sandgrube hüpfen. Das alles macht man natürlich, ohne sich aufzuwärmen, denn das würde viel zu viel Zeit beanspruchen.
Was für ein ärmlicher Haufen sind Schüler doch am Tag vor den Bundesjugendspielen! Sie sitzen abends zu Hause, schauen ein einziges Mal im Jahr die Nachrichten mit ihren Eltern, weil sie auf den Wetterbericht und vor allem auf Regen hoffen, denn dann würden die Spiele ausfallen. Bundesjugendspiele sind der einzige Moment im Leben eines Schülers, in dem er sich wünscht, Unterricht zu haben. Alles ist besser, als bei fünf Grad plus auf einer Wiese am Rande eines Sportplatzes zu hocken und zitternd das von der Lehrerin angestimmte Lied «Country Roads» mitzusingen, ohne zu wissen, was Country Roads eigentlich sind.
Apropos Lehrerin: Meine Sportlehrerin bei meinen ersten Bundesjugendspielen im zarten Alter von acht Jahren war das, was man landläufig einen «Kaventsmann» nennen würde, ein Brocken, ein Koloss, ein LKW mit Anhänger, aber ohne TÜV , eine Wasserstoffbombe, die vergessen hat, wie man explodiert, und nun Energie in sich aufstaut … – Entschuldigung, ich schweife ab. Frau Svensson war auf jeden Fall – wollen wir es mal positiv ausdrücken – beeindruckend. Dies galt vor allem für den Boden, auf dem sie lief und den sie mit ihrem Gewicht richtiggehend eindrückte. Es verwunderte mich jedenfalls nicht, als sie uns mitteilte, dass sie früher mal Kugelstoßerin war. Was ich mich schon immer gefragt habe: Warum werden beim Kugelstoßen die Kugeln eigentlich nur von kugeligen Menschen gekugelt? (Oder eben gestoßen. Wobei ich den Unterschied zwischen Stoßen und Werfen nicht beurteilen kann, denn für mich verlässt die Kugel in beiden Fällen die Hand und gilt für mich damit als geworfen.)
Auf jeden Fall stand ich damals als achtjähriger Pimpf vor Frau Svensson, die uns mit rauer Stimme erklärte, früher bei Olympia eine Silbermedaille für Schweden gewonnen zu haben. Sie sagte dies in einem Tonfall, als würde sie von uns die gleichen Leistungen erwarten. Es gilt für Schüler eben nicht der Grundsatz «Dabei sein ist alles», sondern die Doktrin «Dabei sein ist Pflicht, und das geht alles in die Sportnote ein».
Warum nur muss man einmal im Jahr die sportlich minderbegabten Schüler so demütigen? Wenn man Kindern den Spaß an Leichtathletik nehmen möchte, dann muss man sie
Weitere Kostenlose Bücher