Wenn der Keks redet, haben die Krümel Pause
Wir sollten Deutschland also in einem belgischen Reisebus repräsentieren.
Der Busfahrer verbot uns als Erstes, die Bustoilette zu benutzen. Wozu man eine Bustoilette dann in das Gefährt eingebaut hatte, blieb im Dunkeln. Aber in Deutschland müssen angehende Grundschullehrer im Fach Mathematik ja auch Integralrechnung studieren, obwohl sie es im Schulalltag nie wieder brauchen. Wir fuhren also als deutsche Reisegruppe mit unserem belgischen Reisebus in englische Gefilde. Natürlich mussten wir die Fähre nehmen statt des Zuges unter dem Ärmelkanal hindurch, ist ja klar. Schließlich war das Ganze eine Schulveranstaltung, und Schulklassen ist es bei Ausflügen – aus versicherungstechnischen Gründen natürlich – verboten, tiefer als bis zu den Knien ins Wasser zu gehen. Da wäre die kilometertiefe untertunnelte Passage einer Meerenge ja ein geradezu ungeheuerlich inkonsequenter Verstoß gegen bestehende Vorschriften.
Als wir ankamen, trafen wir zum ersten Mal auf unsere Austauschpartner und deren Familien. Meine Familie bestand aus meinem Austauschschüler, dessen Eltern, mindestens zwanzig Hausratten, die überall frei herumliefen, und einem Papagei, der jeden Besucher beim Betreten des Zimmers mit den Worten «Fuck you!» und «Nasty bitch!» begrüßte. Die in der Ankündigung des Austauschprogramms gefeierte Möglichkeit, seinen Wortschatz zu erweitern, bekam hier eine ganz eigene Bedeutung.
Ich brachte dem Vogel im Laufe meines Aufenthalts noch die Worte «Scheiße» und «Arschloch» bei, um seinen Sprachschatz auch international auf den neuesten Stand zu bringen. Zugegeben, ich hätte ihm auch kultiviertere Wörter beibringen können, aber hey, ich war fünfzehn. Unsere Lehrer hätte es vermutlich schon gefreut, wenn wir nur annähernd so schnell gelernt hätten wie der Papagei.
Am zweiten Tag machten wir gemeinsam mit unseren Austauschschülern einen Ausflug nach Brighton, das unser Englischlehrer Herr Lottenbach uns als die Schwulenstadt Englands vorstellte. Ob das stimmte und warum wir dort hinfuhren, weiß ich bis heute nicht, denn Brighton hatte nicht wirklich viel zu bieten – oder man zeigte es uns nicht. Vielleicht standen auch private Interessen des Herrn Lottenbach hinter diesem Ausflug …
In Erinnerung ist mir allerdings ein Schild auf einem ziemlich hohen Aussichtsturm geblieben, das frei übersetzt sagte: «Bitte nicht vom Turm springen. Das tut weh!» Ich wünschte, unsere Lehrer hätten uns den Unterrichtsstoff mal derart plausibel erklären können.
Stattdessen wollte Herr Lottenbach auf der Rückfahrt unbedingt noch organisatorische Dinge für die nächsten Tage klären. Dies tat er über die Lautsprechanlage. Was er sagte, war nur leider nicht zu verstehen. Das lag aber nicht an der schlechten Anlage, sondern daran, dass sich alle englischen Austauschschüler angesichts seiner unglaublich schlechten Aussprache wegschmissen vor Lachen. Und so einer war befugt, unsere Klassenarbeiten zu beurteilen.
Am letzten Tag unseres Aufenthalts stand noch ein Besuch des Unterrichts in der englischen Partnerschule auf dem Programm. Welch ein Kulturschock! War man aus Deutschland karge und kahle Klassenräume gewöhnt, erstrahlten hier die Zimmer in bunten Farben und Mustern. Warum man den Raum, wo ein Antiaggressions- und Antigewalttraining angeboten wurde, allerdings knallrot gestrichen hatte, weiß ich auch nicht. Bei dieser Farbgebung muss man ja aggressiv werden.
Auch die Fächer, die unterrichtet wurden, unterschieden sich von unseren. Es gab zum Beispiel das Fach «Food Technology», es ging also ums Essen. Eine ironischerweise stark fettleibige Lehrerin erzählte uns etwas über gesunde Ernährung, wobei man sich anscheinend an amerikanischen Standards orientierte und Frikadellen mit viel Ketchup, Pommes und Berge von Pudding zum Nachtisch als gesund einstufte. Was für ein entspanntes Fach! Die Hausaufgabe lautete, alles, was man in der kommenden Woche essen sollte, aufzuschreiben. Clever, diese englischen Lehrer! Herr Lottenbach hatte uns einmal aufgetragen, alle englischen Worte, die wir im Laufe einer Woche im Alltag sehen, zu notieren. Komischerweise begegnete uns während dieser Zeit kein einziges englisches Wort. Aber sieben Tage kein Essen zu sich genommen zu haben, kann ja keiner von sich behaupten.
So erweiterten wir, genau wie unsere Schule es geplant hatte, unseren Horizont und unsere Sprachkenntnisse und lernten die englische Kultur zumindest insofern kennen, als
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