Wenn der Tod mit süßen Armen dich umfängt
hatte. Mit einem Mal begriff sie, worauf ihre Mutter aus war. »Sie wollen mir meine Zurechnungsfähigkeit absprechen, damit meine Zeugenaussage wertlos wird.«
»Die Aussage der einzigen Zeugin der Anklage.« Seine Miene verdüsterte sich, und dann überraschte er sie, indem er eine Hand über den Tisch streckte und auf ihre legte. »Wenn sie deine Glaubwürdigkeit untergraben, indem sie behaupten, die Gehirnoperation hätte dich psychisch labil werden lassen …«
»Dann könnte meine Mutter mit einem Mord davonkommen.« Mit einem kaltblütig begangenen, vorsätzlichen Mord. Bei der Vorstellung brannte ihr heiße Wut in den Adern. Mutter hin oder her, sie würde nicht zulassen, dass irgendjemand direkt vor ihren Augen einen Mord beging und damit durchkam. Das konnte sie einfach nicht, und genau das war es, was sie von ihrer Mutter unterschied. Caitlyn glaubte an Gerechtigkeit. Ohne diesen Glauben bliebe ihr überhaupt nichts mehr.
Carver spann den Faden weiter. »Deine Mutter ist mir egal. Aber das könnte dich deine Karriere kosten. Mit so einem Vermerk in den Akten würdest du nie wieder in deinem Beruf arbeiten können.«
6
Jake bereute seine Worte, sobald er sie ausgesprochen hatte. Caitlyn war auf dem Weg zu einem neuen Fall und durfte sich nicht von dem Schlamassel mit ihrer Mutter ablenken lassen.
Sie verabschiedeten sich hastig auf dem Parkplatz des Diners, dann brauste jeder in entgegengesetzte Richtung davon. Am liebsten wäre Jake umgekehrt und ihr hinterhergefahren, aber er hielt sich zurück. Denn sie würde das nicht wollen, ihn sogar dafür hassen, dass er annahm, sie bräuchte ihn oder irgendjemanden sonst.
Hätte er diesen Brief doch gar nicht erst mitgebracht, dachte er, während er mit der Harley durch die Morgendämmerung fuhr. Er hätte ihn bei ihr zu Hause liegen lassen sollen, dann hätte sie sich bei ihrer Rückkehr damit auseinandersetzen können. Besser noch, er hätte ihn selber öffnen und sich etwas überlegen sollen, wie er mit diesen schmierigen Anwälten und Caitlyns niederträchtiger Mutter fertigwurde, um Caitlyn diese Sorgen zu ersparen. Aber er hatte Caitlyn zeigen wollen, dass es zwischen ihnen beiden keinerlei Geheimnisse gab – und dass er wollte, dass das auch so blieb.
Ihnen beiden fiel es schwer, jemandem zu vertrauen. Er konnte sie also gut verstehen. Zum Teufel, sie war der erste Mensch, dem er in den anderthalb Jahren als verdeckter Ermittler seinen richtigen Namen verraten hatte. Und er war wiederum der Einzige, der über alles Bescheid wusste, was im Januar vorgefallen war, als sie nach Hause zurückgekehrt war. Sie gaben beide dem Rest der Welt so wenig von sich selbst preis wie nötig.
Sie sollte wissen, dass ihr Leben und ihre Geheimnisse bei ihm immer gut aufgehoben waren. Selbst wenn das mit ihnen – schön, wie es war – nicht halten sollte.
Diese Vorstellung stieß ihm sofort übel auf, als hätte er etwas Schlechtes gegessen. Emotionales Sodbrennen.
Die Therapeutin, zu der ihn das FBI geschickt hatte, lag also richtig. Sie hatte behauptet, es gäbe nur zwei Reaktionen auf lange Phasen als verdeckter Ermittler: Entweder zogen die Agenten sich vollkommen von der Außenwelt zurück, oder aber sie fanden jemanden, zu dem sie eine emotionale Verbindung aufbauten, und an denjenigen klammerten sie sich dann wie an einen Rettungsanker, um wieder zurück ins Leben zu finden.
Als kleiner Junge auf der Farm hatte er einmal ein Küken beobachtet, dem es ähnlich ergangen war. Es hatte den Beagle für seine verdammte Mutter gehalten. Damals war es lustig gewesen, den komischen kleinen Vogel dabei zu beobachten, wie er dem Hund quer über den Hof hinterherrannte. Jetzt fand er das nicht mehr so komisch. Denn er war kein unschuldiges Küken und Caitlyn mit Sicherheit kein blöder Beagle.
Sie war all das, was er im Moment nicht war, alles, was er brauchte: mutig und temperamentvoll, dazu noch voller Leidenschaft, klug und gütig … Erst hatte er noch Bedenken gehabt, sich gefragt, ob er sie vielleicht in Gefahr brachte, wenn er bei ihr unterschlüpfte. Sie hatte ihn jedoch darauf hingewiesen, dass die Reapers sie mindestens so gerne tot sehen würden wie ihn. Also hatte er sich von da an eingeredet, dass er sie beschützte, indem er in ihrer Nähe blieb.
Doch wenn er ehrlich war, wusste er, dass es umgekehrt war. Wenn er mit ihr zusammen war, dann fühlte er sich wie befreit. Die restliche Zeit funktionierte er nur, gab wieder und wieder seine Aussage zu
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