Wenn der Tod mit süßen Armen dich umfängt
Protokoll, stritt sich mit Anwälten und seinen Vorgesetzten herum, die jede seiner Handlungen und Entscheidungen auseinandernahmen. Er war sich durchaus im Klaren darüber, dass ein Fall wie dieser sich zwei, drei Jahre hinziehen könnte, und danach war die Sache für ihn gelaufen. Keine weiteren Einsätze als verdeckter Ermittler, keine Karriere, kein … gar nichts.
Caitlyn hielt ihn davon ab, sich mit seiner düsteren Zukunft zu beschäftigen. Mit ihr war er fest im Hier und Jetzt verankert.
Gerade mal dreiundzwanzig Minuten war es her, dass sie weggefahren war, und er vermisste sie schon jetzt.
Caitlyn nutzte die Wartezeit am Flughafen und brachte sich auf den neuesten Stand, was ihre anderen Fälle anging. Außerdem besorgte sie sich Hintergrundinformationen über den aktuellsten. Als ihr Chef diese neue Position für sie eingerichtet hatte, hatte er sie gewarnt, dass ein großer Teil ihrer Arbeit darin bestehen würde, im Vorfeld genau abzuwägen. Sie musste all diejenigen Anfragen ablehnen, für die sie nicht die nötigen Ressourcen besaß. Zumal ihr Team nur aus ihr selbst und einer Hilfskraft bestand, die sich um Büroarbeiten kümmerte und Anrufe entgegennahm. Außerdem verfügte Caitlyn über kein festes Budget, Yates teilte ihr bei jedem Fall die seiner Meinung nach angemessenen Mittel zu – so lange, bis sie sich bewährt hatte.
Dennoch bestand Caitlyn darauf, jede Anfrage zumindest zu prüfen, ehe sie einen Fall ablehnte. Dann antwortete sie der jeweiligen Stelle mit einem Brief, in dem sie Ratschläge für die Ermittlungsarbeiten gab, die demjenigen hoffentlich eine neue Perspektive eröffneten. Jeder dieser Briefe endete mit dem Angebot, weiterhin in Verbindung zu bleiben.
Nach zwei Monaten in ihrem neuen Job jonglierte sie siebzehn Fälle, die meisten davon dank den Wundern der modernen Technik aus der Ferne. Neun weitere Fälle waren bereits mit ihrer Hilfe gelöst, bei dreien war sie vor Ort gewesen, bei den anderen hatte sie per Telefon oder Skype assistiert. Mehr als dreißig musste sie sich noch ansehen, und täglich trudelten neue Anfragen bei ihr ein, da ihre Arbeit sich langsam herumsprach.
Als sie im Flieger ihr Handy ausgeschaltet hatte, kam sie endlich dazu, alles Versäumte aufzuarbeiten. Yates war mit den Fortschritten zufrieden, genau wie Caitlyn selbst. Sie liebte ihren Beruf. Trotzdem war es zermürbend, das Büro jeden Abend in der Gewissheit zu verlassen, dass am nächsten Morgen nur noch mehr Hilfegesuche auf sie warten würden.
Carver half, wo er konnte. Er prüfte die Anfragen, und mit seinem für Wirtschaftsprüfer typisch guten Auge fürs Detail fand er oft etwas, das ihr entgangen war. Ihm schien diese Arbeit ebenfalls zu gefallen.
Sie wusste, dass es ihn zu Tode langweilte, immer nur für Nachbesprechungen seines Einsatzes zur Washingtoner FBI -Außenstelle zu fahren und ansonsten in ihrer Einzimmerwohnung festzusitzen. Für einen Mann wie ihn kam dieses Leben im Verborgenen einer Gefängnisstrafe gleich.
Dass er überhaupt in Gefahr schwebte, war größtenteils ihr zuzuschreiben. Normalerweise waren die verdeckten Ermittler beim Zugriff und den Festnahmen überhaupt nicht dabei. Wenn alles glattging, waren sie zu diesem Zeitpunkt sogar weit weg, um ihre Identität zu schützen.
In North Carolina war jedoch alles schiefgelaufen. Ihnen war keine Zeit geblieben, um auf Verstärkung zu warten, also hatte Carver einen der Anführer der Reapers verhaftet. Sonst wäre es wohl zu Mord und Totschlag zwischen Caitlyn und den Rockern gekommen, worauf sie an jenem Morgen gerne verzichtet hatte. Also stand sie tief in Carvers Schuld.
Aber es war nicht nur das. Sie hatte ihn gerne um sich. Was sie da vorhin im Motel gesagt hatte, war die Wahrheit: Er war so unkompliziert. Es war nicht wie bei der Arbeit, wo sie sich stets abschirmen musste, um sich nicht zu sehr auf einen Fall einzulassen, den sie später gezwungenermaßen ablehnen würde. Außerdem musste sie als Vertreterin des FBI immer Souveränität ausstrahlen, besonders den örtlichen Behörden gegenüber, denen sie half. Diesen Druck hatte sie früher bei ihren Einsätzen nicht gehabt, und sie wusste immer noch nicht so recht, wie sie damit umgehen sollte.
Carver gab ihr Halt. Er wusste über ihre Familie Bescheid, über all die Lügen, den Verrat, und scherte sich nicht darum. Sie konnte ihm alles anvertrauen, denn er würde nichts davon jemals gegen sie verwenden.
Er war der einzige Mensch, dem Caitlyn vertraute.
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