Wenn der Tod mit süßen Armen dich umfängt
wahrlich eine Erlösung wäre. Wie Sie gleich sehen werden.«
Sie stiegen aus und liefen auf das Haus zu. Shapiro klingelte nicht, sondern klopfte leise, als schlafe im Innern ein Baby, das er nicht wecken wollte. Kurz darauf öffnete ihm eine zierliche Blondine Mitte dreißig die Tür. »Tyrese, danke, dass Sie angerufen haben. Es ist viel zu lange her.«
Shapiro umarmte die Frau zur Begrüßung, dann stellte er ihr Jake vor. »Valerie, ich habe Special Agent Jake Carver vom FBI dabei. Er hilft mir bei den Ermittlungen.«
»Tatsächlich? Ich freue mich sehr, Agent Carver.«
»Nennen Sie mich bitte Jake.«
Valerie führte sie ins Wohnzimmer. Überrascht stellte Jake fest, dass in dem großzügig geschnittenen Raum nur ein Sofa stand, sonst war er kahl. Es gab weder Möbel noch Bilder an der Wand, nur eine Deckenleuchte. Neben dem Sofa stand kein Beistell- oder Couchtisch, er sah keine Stehlampen oder irgendwelchen Nippes. Keinerlei scharfe Kanten oder etwas, woran man sich verletzen könnte. Auch nichts, was kaputtgehen könnte.
Es erinnerte Jake ein bisschen an die Zeit, als sein Bruder das erste Kind bekommen, und seine Wohnung übertrieben babysicher gemacht hatte.
»Möchten Sie vielleicht einen Kaffee oder ein Glas Wasser?«, bot Valerie an. Shapiro und Jake lehnten dankend ab.
Shapiro machte es sich auf der Couch bequem, er schien sich wie zu Hause zu fühlen und war offensichtlich schon öfter hier gewesen. Valerie setzte sich neben ihn und zog die Beine an. Sie trug eine Sporthose und ein langärmeliges Sweatshirt und bis auf ihren Ehering keinerlei Schmuck.
»Also«, sagte Valerie und beäugte Jake, der immer noch an der Tür stand. »Das FBI . Wird also tatsächlich etwas unternommen?« Sie hörte sich an wie jemand, der mehr als einmal enttäuscht worden war. Skeptisch und misstrauisch.
»Ich kann nichts versprechen«, sagte Shapiro. »Aber Sie wissen, dass ich Sie und Julia nicht aufgeben werde.«
Sie schenkte ihm ein müdes Lächeln. »Da sind Sie aber so ziemlich der Einzige. Die Ärzte legen mir ein Hospiz nahe. Aber dort kann niemand mit ihr umgehen, wenn sie einen ihrer schlechten Tage hat. Die sind es gewohnt, dass Menschen still vor sich hin siechen. Und Sie kennen ja Julia, sie ist eine Kämpfernatur.«
Shapiro blinzelte und schluckte schwer. »Wo steckt Tom?«
Valerie zog eine Achsel hoch. »Weg. Schlimm genug, dass er den Wagen gefahren hat und deswegen Schuldgefühle hat. Er konnte einfach nicht weiter dabei zusehen, wie …« Sie ließ den Satz unvollendet und blickte auf die gegenüberliegende Zimmerwand.
Jake folgte ihrem Blick und bemerkte jetzt erst das einzige Foto, das sich im Zimmer befand, hoch oben an der Wand. Es zeigte eine glücklich lächelnde Familie: Valerie, ein Mann im selben Alter und ein kleines, etwa sechs Jahre altes Mädchen mit geflochtenen Zöpfchen und einer großen Zahnlücke. Himmel, als Shapiro eine Tochter erwähnt hatte, war Jake von einem Teenager oder einer Studentin ausgegangen. Nicht von einem Kind.
Er riss sich von der Fotografie los. Wie konnte die Mutter es bloß ertragen, jeden Tag dieses Bild vor Augen zu haben? Sich ständig damit zu konfrontieren, was sie verloren hatte? »Darf ich fragen …?«
Valerie wandte sich Jake zu. »Oh, selbstverständlich, tut mir leid, ich dachte, Tyrese hätte Sie bereits informiert.«
»Ich hielt es für besser, wenn er es von Ihnen hört«, sagte Shapiro.
Sie nickte. »Vor anderthalb Jahren hatten Tom und ich auf dem Heimweg einen Verkehrsunfall. Man kann niemand wirklich einen Vorwurf machen, es war sehr neblig, ein regnerischer Tag. Tom verlor das Bewusstsein, er hatte eine Gehirnerschütterung und sich das Handgelenk gebrochen. Aber die Beifahrerseite, dort wo Julia saß, hat die volle Wucht des Aufpralls abbekommen.«
Ihr Blick suchte erneut das Bild. »Die Aufnahme wurde ein paar Wochen vorher gemacht. Es ist das Bild, das wir dem Chirurgen mitgebracht haben, damit er sich an etwas orientieren konnte, um ihr Gesicht wiederherzustellen.«
Die Stimme der Mutter war klar, als rede sie über die Tochter von jemand anderem. Shapiro hingegen räusperte sich erstickt, als hätte er sich an etwas Üblem verschluckt.
»Nach zwei Monaten, insgesamt sechs Operationen und vier Wochen Reha, hatten wir unseren kleinen Engel endlich wieder bei uns.« Valerie setzte sich um, sodass sie dem Familienporträt den Rücken zuwandte. »Zumindest für einige Monate. Es fing schleichend an. Ein Muskelkrampf hier, ein
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