Wenn der Wetterhahn kräht
Studentenwohnheim?«
»Genau. Aber keine Sorge,
wahrscheinlich ist im Moment niemand da. Soweit ich weiß, fängt das
Sommersemester erst in einer Woche oder so an. Jedenfalls habe ich in der
letzten Zeit niemanden ›Achtung! Baum fällt!‹ brüllen hören. Klettere ruhig
hoch, hier auf dem Campus gibt es keine Wachmänner. Nur kräftige Holzfäller mit
Riesenäxten. Beeil dich, das Ding fängt schon an zu wackeln.«
Die Brise war so leicht, daß man sie
auf der Haut kaum spürte. Doch sie reichte aus, um die Wetterfahne zu bewegen,
so daß der Holzfäller, der gerade seinen Baum fällte, genau mit der Breitseite
zum Studentenwohnheim stand. Helen stieg eilig die offene Eisentreppe bis auf die
oberste Plattform hinauf, lehnte sich über die Brüstung, wartete mit gezücktem
Teleobjektiv und Finger am Auslöser, bis die Wetterfahne sich nicht mehr
bewegte, und knipste.
Sie machte eine Aufnahme nach der
anderen, während Sonne und Schatten wunderbare Reflexe auf das oxidierte Kupfer
zauberten. Da sie auch einige Schwarzweißbilder machen wollte, fischte sie zum
Schluß eine bereits geladene zweite Kamera aus ihrer blauen Umhängetasche.
Als sie das Objektiv wechselte,
bemerkte sie, daß das Studentenwohnheim gar nicht leer war. Irgendwo aus dem
Inneren des Gebäudes vernahm sie männliche Stimmen, Stimmen junger Männer. Und
warum sollten sie nicht jung sein? Es handelte sich immerhin um ein
Studentenwohnheim. Helen konzentrierte sich so sehr darauf, das Bild scharf zu
stellen und dem Wind zuvorzukommen, daß sie gar nicht auf das achtete, was sie
ohnehin nichts anging, bis plötzlich der Name eines Ortes fiel, der sie
aufhorchen ließ.
Bisher hatte sie den Namen Woeful Ridge
erst ein einziges Mal gehört, und zwar gestern abend bei den Horsefalls,
unmittelbar bevor das Feuer ausgebrochen war. Einen Moment lang vergaß sie
sogar, was sie hier oben machte, und spitzte die Ohren, um noch mehr zu
verstehen, doch die Studenten hatten entweder aufgehört zu reden oder das
Gebäude bereits verlassen. Wahrscheinlich waren sie auf dem Weg zum Speisesaal.
Am besten, sie beeilte sich ein bißchen. Iduna war bestimmt schon wieder
hungrig.
Helen gelang es, einige hervorragende
Fotos zu machen, bevor der Wind zu sehr auffrischte. Dann kletterte sie
vorsichtig wieder nach unten, wobei sie sich fragte, wie sie es überhaupt
geschafft hatte, ohne Herzklopfen hier hochzuklettern, und bemerkte bedauernd,
daß die Eisenstufen ihre schönen rosa Turnschuhe verschmutzt hatten.
Wahrscheinlich Ruß, vermutete sie, von Holzfeuern in alten Öfen. Eigentlich
sollte eine Forstakademie von der katalytischen Verbrennung gehört haben.
Aber andererseits würde Sasquamahoc wie
andere Universitäten unter dem Druck der gestiegenen Gemeinkosten leiden. Sie
wischte ihre Turnschuhe ab, so gut es eben ging, und fragte Catriona, wo sie Präsident
Fingal suchen sollten, vorausgesetzt natürlich, er war noch nicht nach Hause
gegangen.
Sie spürten ihn schließlich in seinem
Büro im Verwaltungsgebäude auf. Er sagte, er freue sich sehr, sie zu sehen, und
sah so aus, als meine er es durchaus ernst.
»Endlich lernen wir uns kennen, Mrs.
Shandy. Entschuldigen Sie bitte, ich sollte wohl besser Dr. Shandy sagen, nicht
wahr? Oder Dr. Marsh? Oder Marsh-Shandy oder Shandy-Marsh?«
»Warum nicht einfach Helen? Sie nennen
meinen Mann schließlich auch Peter, nicht?«
»Früher habe ich ihm noch ganz andere
Namen an den Kopf geworfen, dem alten — « Präsident Fingal konnte sich gerade
noch fangen. »Er nennt mich übrigens Guthrie, und ich hoffe sehr, daß Sie das
auch tun werden. Wir haben zusammen das College besucht, wie er vielleicht
erwähnt hat.«
»Sehr oft sogar. Peter bedauert sehr,
daß er nicht mitkommen konnte, wie wir es ursprünglich geplant hatten. Sie
haben vermutlich schon von der Brandkatastrophe bei uns gehört?«
»Ja, ich habe Bilder davon in den
Nachrichten gesehen. Sagen Sie bloß, Peter ist auf seine alte Tage der
Freiwilligen Feuerwehr beigetreten!«
»Nein, das nicht, aber im Moment ist
die Situation dort so brenzlig, daß jeder gebraucht wird.« Helen hatte keine
Lust, ihn in alle Einzelheiten einzuweihen. »Man hat ihn gebeten zu bleiben und
zu helfen, was er schlecht ablehnen konnte. Daher bin ich allein mit einer
Freundin losgefahren, um unsere gemeinsame Freundin Catriona zu besuchen. Peter
hofft, daß er später nachkommen kann.«
»Hoffentlich klappt es. Es wäre
wirklich schön, den guten alten Peter endlich
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