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Wenn der Wetterhahn kräht

Wenn der Wetterhahn kräht

Titel: Wenn der Wetterhahn kräht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte MacLeod
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hätten wir uns heiße Limonade mit Keksen als
Betthupferl machen können. Aber ich will nicht klagen. Ich bin wirklich
verdammt glücklich, daß wir hier gelandet sind, statt — «
    Als sie wieder Herrin ihrer Stimme war.
sprach sie weiter. »Ich habe die Haferkekse absichtlich verwahrt. Ich dachte,
sie würden vielleicht gut zu einer Bootsfahrt passen. Hier, Cat, probier mal
einen von diesen hier, und dazu ein Schlückchen Limonade. Du mußt allerdings
dieselbe Tasse nehmen wie eben, wir haben nämlich leider nur drei.
Jammerschade, daß ich nicht daran gedacht habe, eine Flasche Wasser
mitzunehmen, aber wir haben ja noch Trauben und Apfelsinen. Die sollten den
Durst eigentlich auch löschen.«
    Catriona legte ein weiteres Stück
Treibholz aufs Feuer. Zwischen den orangegelben Flammen leuchtete es in
zauberhaften blauen, smaragdgrünen, karmesinroten und violetten Farbtönen.
Orange, dachte Helen, die Farbe der Hestia, der Göttin des Herdfeuers und des
heimischen Herdes. Heim war der Ort, wo man seinen Regenmantel aufhängte.
    Sie saß zwischen ihren beiden
Freundinnen, beobachtete das Feuer, knabberte an Idunas Vollwertkeksen und
nippte an ihrer lauwarmen Limonade. Nach einer Weile begann Catriona eines
ihrer alten Lieder zu singen, eine Melodie, die sie zuerst in einem John
Buchan-Thriller und später in einem Buch mit Gospelsongs, das ihrer Großmutter
gehörte, gefunden hatte.
    »›Auf des Jordans anderem Ufer, liegt
der süße Garten Eden, wo der Baum des Lebens grünt. Dort ist Ruhe auch für
dich.‹«
    Zuerst fiel Helen ein, dann auch Iduna. »›Da ist Ruhe für die Müden, da ist Ruhe für die Müden, da ist Ruhe auch für
dich.‹«
    Des Menschen Geist ist nicht zu beugen.
Da saßen sie nun auf einem namenlosen Felsen am Ende der Welt und sangen
miteinander. Der Nebel war inzwischen zum Schneiden dick, doch wen störte das
schon? Sie hatten es sich gemütlich gemacht, saßen eng aneinandergedrängt unter
Idunas Regenmantel, der die Wärme des Feuers zurückwarf, das sie allmählich
richtig aufwärmte und vergessen ließ, daß ihre Kleidung immer noch klamm war.
Wahrscheinlich würde sie überhaupt nie mehr trocknen, es sei denn, sie fanden
eine Stelle mit Süßwasser, wo sie das Salz auswaschen konnten.
    Sie befanden sich in Sicherheit, sie
hatten gegessen, sie waren zusammen, sie waren am Leben. Im Moment war das mehr
als genug. Sie sangen immer weiter: Liebeslieder, lustige Lieder, Tanzlieder,
Studentenlieder, alberne Lieder. Nur keine traurigen Lieder, sie hatten für
heute genug durchgestanden. Iduna besaß eine wirklich schöne Mezzosporan-Stimme,
in South Dakota war sie Solistin im Kirchenchor gewesen. Cat sang zwar nicht
sonderlich gut, doch sie verfügte über ein unerschöpfliches Repertoire an
Liedern. Helen konnte immerhin eine Melodie halten. Ihre Gesangskünste hätten
ein kritisches Publikum vielleicht nicht gerade begeistert, doch außer einem
oder zwei Walen hörte ihnen ohnehin niemand zu.
    Nur ein flackerndes graues Gespenst,
das sich lautlos an ihr regenbogenfarbenes Campfeuer heranpirschte und sie
durch die tanzenden Flammen hindurch beobachtete.

Kapitel 11
     
     
     
     
     
     
     
    I ch sehe was, was du nicht siehst, ich
sehe was, was du nicht siehst«, sang Helen leise, aber eindringlich.
    »Das kenn’ ich nicht, aber-« Catriona
unterbrach sich. »Du lieber Herr Gesangverein!« krächzte sie. »Wir haben
Geister aus den Tiefen des Meeres heraufbeschworen. Rede! Sprich zu uns,
unheimlicher Gast!«
    »Was soll ich denn verdammt noch mal
sagen?« Die Stimme war leise und bebte. Der Geist tat einen weiteren Schritt
nach vom und streckte seine zitternden Hände nach dem Feuer aus. »Fühlt sich
an, als wär’s ‘n richtiges Feuer.«
    »Menschenskinder, ich — « Die
Erscheinung fuhr sich mit der Zunge über die bleichen Lippen und schien nach
Worten zu suchen. »Ich hab’ doch glatt geglaubt, es wär’ die Lorelei, die mich
ins Verderben lockt. Dabei siehst du aus wie Cat. Bist du’s wirklich, Cat?«
    »Eustace! Du lebst ja noch!«
    »Scheint mir auch so, auch wenn’s sich
nich’ so anfühlt. Verdammt kalt is’ mir. Ihr habt nich’ zufällig ‘nen
anständigen Schluck, um ‘nen halberfrorenen Seemann wieder aufzuwärmen? Ich
glaub’, mir sind die Mandeln anner Luftröhre festgefroren.«
    Iduna, die bis jetzt stocksteif
dagesessen hatte, mit Augen so groß und rund wie Spiegeleier, vernahm den
Hilferuf und wurde sogleich aktiv. Sie griff in ihren Korb, goß ein wenig

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