Wenn der Wind dich ruft
darauf nicht verlassen, solange Julian hier herumlungert.«
»Er hat mir gesagt, er wolle London verlassen«, erklärte Portia leise. »Dass er ... keinem von uns länger Sorgen machen wollte.«
Trauer legte sich wie ein Schatten über Adrians Züge, sodass ihr eigenes Herz sich vor Mitleid zusammenzog. Sie konnte nicht wissen, ob Julian die Wahrheit gesagt hatte oder ob seine Worte nur ein cleveres Ablenkungsmanöver gewesen waren, um sie abzuschütteln. Sie hatte sich noch nicht einmal getraut, Adrian zu sagen, wie er entwischt war, hatte alle in dem Glauben gelassen, dass er seine überlegene Stärke dazu benutzt hatte, an einer der Regenrinnen hinabzuklettern. In all ihren Kämpfen waren sie nie auf einen Vampir gestoßen, der seine Kraft lange genug konzentrieren konnte, um sich in eine Fledermaus zu verwandeln. Wenn Adrian wüsste, dass sein Bruder diese seltene Gabe besaß, könnte er ihn am Ende als noch größere Bedrohung ansehen.
Adrian überraschte sie, indem er sich schwer auf die Kante der Ottomane sinken ließ und sich mit einer Hand über das unrasierte Kinn fuhr. »Ich weiß, du meinst wahrscheinlich, dass ich überreagiere, aber als ich dich auf dem Dach am Abgrund stehen sah, dein Gesicht so blass und deine Haare zerzaust ...«
»Da hast du das Schlimmste angenommen«, beendete sie den Satz für ihn.
Er nickte. »Ich hatte Angst, dass er wieder von dir getrunken hätte. Dass er einen Schritt weiter gegangen wäre, dich zu töten ... oder schlimmer noch, deine Seele zu stehlen.
Portia wusste, dass ihre Seele viel weniger als ihr Herz in Gefahr schwebte. Sie hakte sich bei Adrian unter und drückte seinen Arm. »Es tut mir leid, dass ich dir solche Angst eingejagt habe. Was ich Wallingford erzählt habe, stimmt teilweise. Ich wollte ihn nur nach Hause holen. Für dich.« In ihren Augen war keine Arglist, als sie alle der Reihe nach anschaute. »Für uns alle.«
Adrian stand auf, zog sie auf die Füße und drückte ihr einen sanften Kuss auf die Stirn. »Vivienne hat Recht. Im Augenblick ist das Einzige, was zählt, dass du hier bist, zu Hause und in Sicherheit. Wegen des Restes sorgen wir uns später.«
Während er zur Tür ging, erhob sich Vivienne mit anmutig raschelnden Röcken. »Komm, Liebling«, sagte sie zu ihrem Gemahl. »Wir gehen besser und retten die Jungs aus Wilburys Klauen, sonst finden wir sie am Ende noch in irgendeinem Kochtopf.«
»Haben sie nicht letztes Mal, als wir sie mit ihm allein gelassen haben, den armen Wilbury in den Vorratsschrank gesperrt?«, fragte Larkin.
»Nein, das war das vorletzte Mal. Das letzte Mal hat er sie in den Besenschrank gesperrt«, erwiderte sie, während sie Adrian aus dem Empfangssalon folgten.
Nur Caroline blieb sitzen, schaute nachdenklich in die flackernden Flammen des Feuers. Portia versuchte unbemerkt zur Tür zu gelangen, bis ihre Schwester sprach. »Nicht so schnell, Kleines.«
Portia riss die Augen auf, setzte eine geübt unschuldige Miene auf. »Hast du etwas gesagt?«
Caroline klopfte neben sich auf das Sofa und lächelte mindestens genauso unschuldig. »Warum setzt du dich nicht für ein kleines Schwätzchen neben mich?«
Portia kam ihrer Bitte zögernd nach, ließ sich auf dem Sofa nieder, schwieg aber.
»Weißt du«, begann Caroline und spielte mit dem mit einem Monogramm bestickten Taschentuch in ihrem Schoß, »ich sterbe vor Neugierde, aber ich habe dich in all den Jahren nie bedrängt, mir zu verraten, was genau in der Gruft zwischen dir und Julian vorgefallen ist.«
Portia konnte ein schuldbewusstes Zusammenzucken nicht ganz unterdrücken. Sie hatte geglaubt, ihre Schwester wolle sie zu den Ereignissen von letzter Nacht befragen und nicht zu denen von vor sechs Jahren. »Ich habe dich für deine Zurückhaltung sehr bewundert. Es muss dir schwergefallen sein.«
»Ich nehme an, es war für uns alle irgendwie leichter, so zu tun, als sei es nie geschehen, nicht wahr?« Caroline blickte ihrer Schwester aus ihren grauen Augen suchend ins Gesicht. »Aber ich habe nie aufgehört, mich zu fragen, ob Julian in der Gruft nicht mehr von dir genommen hat als nur dein Blut. Das würde erklären, warum du nach wie vor an ihm hängst, dein Zögern zu heiraten.«
Portia konnte einen leichten Tonfall anschlagen, aber sie konnte nicht verhindern, dass ihre Wangen rot wurden. Sie betrachtete angelegentlich ihre Hände, wünschte sich ebenfalls ein Taschentuch, das sie kneten konnte. »Wenn du das vermutest, warum hast du dann nicht
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