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Wenn der Wind dich ruft

Wenn der Wind dich ruft

Titel: Wenn der Wind dich ruft Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Teresa Medeiros
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einfach einen Arzt kommen lassen, um mich zu untersuchen?«
    »Adrian hatte das vorgeschlagen, aber ich wollte dich nicht so einer würdelosen Untersuchung unterwerfen. In Wahrheit waren wir beide der Ansicht, dass du in den Händen seines Bruders schon genug erlitten hattest.«
    Ehe Portia es unterdrücken konnte, drängte sich ein sprödes Lachen über ihre Lippen. »Deine Sorge rührt mich wirklich, Caroline, aber ich kann dir versichern, dass keine Frau jemals unter Julian Kane übermäßig gelitten hat.«
    »Selbst jetzt noch?«, entgegnete Caroline, ihr Blick noch bohrender als eben.
    Da sie darauf keine Antwort hatte, stand Portia wortlos auf und verließ den Empfangssalon hocherhobenen Hauptes und ohne ihre Geheimnisse verraten zu haben.
    In der Nacht saß Portia mit angezogenen Knien auf der breiten gepolsterten Bank am Fenster ihres Schlafzimmers im dritten Stock und schaute zu, wie in den eleganten Mayfair-Stadthäusern auf der anderen Seite des Platzes der Reihe nach die Lichter gelöscht wurden. Als gerade eine Kirchenglocke in der Ferne schlug, ging die letzte aus, sodass einzig der Mond noch Licht in der Dunkelheit spendete.
    Sie stieß das Fenster auf, zog den kühlen Luftzug der erstickenden Wärme des Feuers vor, das in ihrem gemauerten Kamin knisterte. Obwohl Kutschen schon Spuren aus Schlamm über das Kopfsteinpflaster gezogen hatten, bedeckte eine hauchdünne Schicht jungfräulich weißen Schnees noch die Dächer der Häuser und die Zweige der kahlen Bäume, sodass sie im schwachen Licht schimmerten. Dünne Nebelschwaden waberten wie Geisterfinger durch die verlassenen Straßen.
    Sie zog ihren Wollschal fester um ihr dünnes Nachthemd aus Baumwolle und schaute sehnsüchtig in die Nacht. Die schläfrige Stille im Haus gab ihr das Gefühl, als wäre sie die Einzige auf der ganzen Welt, die wach war. Aber natürlich wusste sie, Julian war irgendwo dort draußen, ein Gefangener der Nacht mit all ihren Gefahren und Versuchungen. Es war nicht ausgeschlossen, dass er jetzt gerade in den Armen einer anderen Frau lag, die ihm nie mehr bedeuten konnte als seine nächste Mahlzeit.
    Mit einem Finger berührte sie ihre volle Unterlippe, erinnerte sich an den fordernden Druck seines Mundes auf ihrem. Wie er sie geküsst hatte — als sei sie beides: seine Erlösung und sein Untergang. Wie er seine Arme so fest um sie geschlungen hatte, dass selbst das wütende Tosen des Windes sie nicht trennen konnte.
    Aber am Ende war es doch geschehen. Langsam ließ sie die Hand sinken. Was, wenn Julians Kuss wirklich ein Abschiedskuss gewesen war? Was, wenn er abermals durch die Welt zu ziehen begann, weit weg von allen, die ihn liebten? Was, wenn sie ihn nie wiedersah? Irgendwie war diese Vorstellung jetzt noch unerträglicher als zuvor. Im Laufe der Zeit würde sie möglicherweise sogar zu glauben anfangen, dass diese Augenblicke in seinen Armen nichts mehr gewesen waren als ein Traum, der überreizten Phantasie einer Frau entsprungen, die dazu bestimmt war, sich nach einem Mann zu sehnen, den sie nie haben konnte.
    Der Wind fuhr stöhnend durch die Bäume vor dem Haus, und sie erschauerte. Sie streckte eine Hand aus, um das Fenster zu schließen, aber nach kurzem Zögern öffnete sie es wieder einen Spalt.
    »Komm nach Hause, Julian«, flüsterte sie in die Nacht. »Ehe es zu spät ist.«
    Julian glitt durch das Fenster von Portias Schlafzimmer und landete mit der lautlosen Anmut einer Katze auf den Fußballen. Eigentlich müsste er schon auf halbem Weg nach Frankreich an Bord eines Schiffes im Ärmelkanal sein, einen ahnungslosen Cuthbert im Schlepptau.
    Stattdessen hatte er den Tag in einem verlassenen Lagerhaus in Charing Cross verbracht und darauf gewartet, dass die blasse Wintersonne unterging. Gleich nach Mondaufgang war er herausgekommen und hatte die überfüllten Bereiche von Fleetstreet und Strand gemieden, wo ihm vielleicht einer von Wallingfords gedungenen Häschern auflauern könnte. Ehe er selbst merkte, was geschah, hatte ihn sein zielloses Wandern in die schmale Gasse hinter dem Stadthaus seines Bruders gebracht.
    Er blieb und wartete, zog sich tiefer in die Schatten zurück, als Larkin aus dem Haus trat und Vivienne zusammen mit einem Paar munter schwätzender blonder Jungen in die Kutsche verfrachtete. Er beobachtete durch ein erhelltes Fenster, wie Caroline in Adrians Arbeitszimmer schlüpfte und sich ihrem Mann auf den Schoß setzte, sich daran machte, dessen sichtbare Anspannung mit einem

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