Wenn die Liebe erblueht - Im Rosengarten der Liebe
War es möglicherweise eine Art verfrühte Torschlusspanik? Oder hing es vielleicht mit Tante Mays Krankheit zusammen, ein Versuch, sich von ihrer Angst und Verzweiflung abzulenken? Müde schüttelte sie den Kopf und versuchte, alle Gedanken an Mitch zu verdrängen. Doch es gelang ihr nicht. Sie fragte sich, wo und mit wem er den Abend verbringen würde. Er hatte von einem Geschäftsessen gesprochen, und sie fragte sich unwillkürlich, ob es sich dabei um einen männlichen oder weiblichen Geschäftspartner handelte.
Entsetzt rief sie sich zur Ordnung. Sie durfte jetzt nur an Tante May denken und nicht an Mitch Fletcher. Er hatte keinen Platz in ihrem Leben und durfte auch keinen in ihren Gedanken und Gefühlen haben.
Als Geraldine ins Hospiz kam, war ihre Tante bei Bewusstsein, aber sehr unruhig und verwirrt. Geraldine setzte sich zu ihr, beruhigte und tröstete sie und hörte geduldig und liebevoll zu, wie Tante May von ihrer eigenen Kindheit erzählte und dabei ihre Nichte mit ihrer Schwester verwechselte, die Geraldines GroÃmutter gewesen, aber vor deren Geburt gestorben war.
Stunden vergingen, lange, zermürbende Stunden, in denen Tante May von Zeit zu Zeit aus der Vergangenheit auftauchte und in die Gegenwart zurückkehrte. In diesen Momenten war sie wieder die liebende, fürsorgliche Frau, die Geraldine so verständnisvoll über den Verlust ihrer Eltern hinweggeholfen und ihr so viel gegeben hatte. Und die jetzt umgekehrt sie so sehr brauchte, wie Geraldine erkannte, während sie miteinander sprachen ⦠das heiÃt, während Tante May sprach und Geraldine zuhörte.
Zum ersten Mal erfuhr Geraldine von dem jungen Mann, den Tante May hatte heiraten wollen und der dann im Krieg gefallen war.
âBevor er fortzog, liebten wir uns, und ich betete später, dass ich ein Kind von ihmbekommen würde. Ich wünschte es mir so sehr. Ich hatte ihn verloren und wollte dieses Kind mehr als alles auf der Welt. Es gibt keinen schlimmeren Schmerz, als sich ein Kind von seinem Geliebten zu wünschen, den sichtbaren Beweis seiner Liebe, und dann erkennen zu müssen, dass es niemals sein wird. Eines Tages, wenn du selbst einen Mann liebst, wirst du verstehen, was ich meine, Geraldine.â
Tante May wurde müde. Sie wirkte sichtbar erschöpft von der Anstrengung, die das Reden ihr bereitete. Eine Weile schwieg sie nun und betrachtete nachdenklich das schmale Gesicht ihrer Nichte.
âWeiÃt duâ, sagte sie dann. âDas Schlimmste für mich ist, zu wissen, dass ich dich ganz allein zurücklassen werde.â
Geraldine schüttelte den Kopf und versuchte, ihre Tränen zu verbergen. âNein, ich werde nicht allein sein. Deine Liebe bleibt mir für immer. Du hast mir so viel gegeben â¦â
âNicht mehr, als du mir gegeben hast. Als deine Eltern bei dem Flugzeugabsturz starben und ich ihre Stelle einnehmen musste, hast du meinem Leben nicht nur einen Sinn, sondern auch Liebe gebracht, Geraldine.â Sie zögerte. âWenn dir das alles zu viel wird â¦â
âNeinâ, wehrte Geraldine sofort ab. âIch möchte bei dir sein, möchte es mit dir teilen.â
Tante May lächelte matt. âIch glaube nicht, dass es noch sehr lange dauern wirdâ, versprach sie leise. âSeltsam, ich habe immer gedacht, dass ich fürchterliche Angst haben würde, wenn die Zeit kommt, aber das ist nicht der Fall. Ich fühle mich auÃerordentlich ruhig und gelassen.â Sie schloss die Augen, und Geraldine stockte für Sekunden der Herzschlag. Nein! Noch nicht, wollte sie aufschreien. Und als habe ihre Tante den stummen Schrei gehört, schlug sie die Augen wieder auf und sagte schwach: âNoch nicht. Nicht jetzt, nicht heute Nacht, aber bald â¦â
Als Tante May schlieÃlich erschöpft einschlief, blieb Geraldine reglos an ihrem Bett sitzen und weinte still vor sich hin. So fand sie die Ordensschwester, die regelmäÃig nach der Sterbenden schaute. Sie tadelte Geraldine sanft für ihre Unvernunft. âGehen Sie nach Hause, und ruhen Sie sich aus, Geraldine, sonst haben Sie keine Kraft mehr, wenn Ihre Tante sie am nötigsten braucht. Sie haben ja die ganze Nacht hier zugebracht.â
Die ganze Nacht? Benommen schaute Geraldine zum Fenster und bemerkte erst jetzt, dass es drauÃen bereits hell wurde.
âGehen Sie nach Hauseâ, wiederholte die Ordensschwester energisch
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