Wenn die Liebe erblueht - Im Rosengarten der Liebe
Ãberreaktion lag allein in ihrer Betroffenheit und ihrem Schmerz angesichts des bevorstehenden Tods ihrer Tante. Das machte sie so verletzlich, so empfindsam gegenüber den Gedanken und Gefühlen anderer. Mitch irrte sich, was sie betraf, aber das konnte er nicht ahnen. Seine Anschuldigungen waren grausam und ungerechtfertigt gewesen, und trotzdem hatte sie das Gefühl gehabt, dass sein Zorn und seine Verachtung in Wirklichkeit nicht so sehr ihr, sondern ihrem mutmaÃlichen Liebhaber galten.
Was ist nur mit mir los, fragte sie sich müde. Warum versuchte sie überhaupt, sich an Mitchs Stelle zu versetzen? Was war der Grund für dieses gefährliche Mitgefühl und Verständnis? Sie war doch mit Recht so wütend auf ihn gewesen, dass sie ihn am liebsten geohrfeigt hätte. Entsetzt gestand sie sich ein, wie wenig sie ihre Gefühle in letzter Zeit unter Kontrolle hatte.
Vergiss ihn, dachte sie, als sie sich auszog und ins Bett legte. Vergiss ihn. Du hast jetzt andere Sorgen, die viel gröÃer und wichtiger sind.
6. KAPITEL
In den folgenden beiden Tagen ging es Tante May wie durch ein Wunder besser, ja, sie schien sich sogar zu erholen. Doch der Eindruck trog, es war ein letztes Aufflackern des Lebensfunkens vor dem Ende. Am dritten Tag, als Geraldine nach einem langen Besuch am Krankenbett nach Hause gefahren war, um sich etwas auszuruhen, schreckte sie das Läuten des Telefons aus ihrem erschöpften Schlaf.
Sie wusste sofort, dass es das Hospiz war. Zehn Minuten nach dem Anruf war sie angezogen und saà in ihrem Auto. Obwohl sie nur den einen Wunsch hatte, so schnell wie möglich zu ihrer Tante zu kommen, zwang sie sich, konzentriert und vorsichtig zu fahren. Es hätte niemandem geholfen, wenn sie auf der Fahrt zum Hospiz einen Unfall gehabt hätte. Plötzlich fiel ihr ein, dass Mitch Fletcher, sollte er während ihrer Abwesenheit zurückkehren, wieder glauben würde, dass sie die Nacht mit ihrem Liebhaber verbringen würde.
Mitchell Fletcher. Wie konnte sie in diesem Moment, da sie all ihre Kräfte brauchte, um Tante May in ihrer schweren Stunde beizustehen, auch nur einen Gedanken an ihn verschwenden? Lag es vielleicht an ihrer entsetzlichen Angst, dass sie es nicht durchstehen und ihre Tante im Stich lassen könnte? Beschäftigte sie sich deshalb so viel mit Mitch, um sich von der schweren Aufgabe, die vor ihr lag, abzulenken?
Je näher sie dem Hospiz kam, desto mehr sank ihr Mut. Schon der Gedanke an den Tod war schwer zu ertragen, aber die Realität ⦠Geraldine erschauerte. Ja, sie hatte eine furchtbare Angst davor, wie sie es ertragen würde. Sie hatte noch nie einen Menschen sterben sehen, und nun sollte sie ihre geliebte Tante dabei begleiten ⦠Als Geraldine mit den schlimmsten Befürchtungen das Krankenzimmer betrat, stellte sie zu ihrer groÃen Erleichterung fest, dass ihre Tante zwar erschreckend schwach, aber bei klarem Bewusstsein war.
Geraldine setzte sich auf den Stuhl neben dem Bett und ergriff die zarte, knochige Hand der Sterbenden. Erstaunlicherweise lächelte Tante May sie an, und aus ihrem Blick sprach eine solche Liebe und Zuversicht, dass Geraldine trotz aller festen Vorsätze die Tränen kamen. Tränen des Selbstmitleids, sagte sie sich entschieden, denn ihre Tante wirkte so ruhig und gelassen, dass es fast wie eine Beleidigung ihres Muts gewesen wäre, um sie zu weinen ⦠wie ein Versuch, ihr den Frieden zu nehmen, den sie sich so hart erkämpft hatte.
âNein, Geraldine, nichtâ, tadelte Tante May sanft, als Geraldine das Gesicht abwenden wollte, um ihre Tränen zu verbergen. âDu brauchst deine Gefühle nicht vor mir zu verstecken. Mir ist selbst ein wenig nach Weinen. Da ist noch so viel, was ich tun und erleben wollte. Die Rosen im Garten zum Beispiel: Ich wollte sie blühen sehen. Ich wollte deine Hochzeit erleben und deine Kinder auf den Knien schaukeln. Und dennoch empfinde ich gleichzeitig eine unbeschreibliche Freude, ein Gefühl der Ruhe und des Friedens.â Sie drückte matt Geraldines Hand. âIch habe keine Angst vor dem Tod, Geraldine, obwohl ich zugeben muss, dass es oft, sehr oft, Augenblicke gegeben hat, in denen ich mich vor der Art, wie ich sterben würde,gefürchtet habe. Aber jetzt nicht mehr. Ich fühle keinen Schmerz, keine Angst.â
Geraldine spürte überrascht, wie auch ihre Furcht weniger wurde. Tante Mays Worte hatten sie
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