Wenn die Liebe erwacht
muß sagen, daß ich mich nicht erinnern kann, wann ich überhaupt das letzte Mal direkt mit meinen Leuten in Kontakt gekommen bin.«
»Soll das heißen, daß Ihre Frau über Jahre hinweg allein über Montwyn bestimmt hat?« fragte Rolfe ungläubig.
»Ich … so muß es wohl gewesen sein«, flüsterte William.
Williams Verstand arbeitete immer noch sehr langsam, doch eines wurde ihm klar. Wenn er glauben konnte, was sein Schwiegersohn ihm gesagt hatte, dann trug Judith nicht nur die Schuld daran, daß sie ihn mit einer List zu dieser Heirat gebracht hatte – ja, daran, konnte er sich sehr wohl erinnern – sondern dann hatte sie ihn auch bewußt von seiner Tochter ferngehalten. Er wußte nicht, wie sie das angestellt hatte, aber sie hatte es getan.
Leonies Mann war zornig über die Schmerzen, die man ihr wegen dieser Eheschließung zugefügt hatte, doch William war völlig zerstört, wenn er an den Schmerz dachte, den es ihr bereitet haben mußte, zu glauben, ihr Vater hätte sie über einen so langen Zeitraum im Stich gelassen. Und er hatte sie wahrhaft im Stich gelassen, sie seinem Kummer geopfert, seinem schwachen Willen und einer Frau, die ihn so lange manipuliert und so mühelos belogen hatte.
Plötzlich fielen ihm zu viele Dinge auf einmal wieder ein, und eine gewaltige Wut, die aus seinem tiefsten Innern aufstieg, riß ihn mit sich. Er trug die Schuld. Er hatte zugelassen, daß seine ränkeschmiedende Frau seine gesamte Existenz an sich gerissen hatte.
Als sie das Zimmer betrat, wurde Judith von ihrem Mann mit einem derart mordlüsternen Blick empfangen, daß sie wußte, er war ihr auf irgendeine Weise auf die Schliche gekommen. Das ließ sich mit Lügen nicht wieder ausbügeln, denn William war jetzt nüchtern und wußte, was er tat. So hatte sie ihn nicht mehr gesehen, seit er damals entdeckt hatte, daß sie ihn überlistet hatte, sie zu heiraten. Er sah sie an, als wollte er sie umbringen. Sie würde sich ihm auf Gnade und Ungnade ausliefern und Zeit gewinnen müssen, bis sie wieder miteinander allein waren und sie ihn dazu bringen konnte, weiterzutrinken.
Ihre Angst war durchaus echt, als sie zu ihrem Mann stürzte. Die Tränen traten schnell in ihre Augen, und sie blickte flehentlich zu ihm auf.
»William, ganz gleich, was du von mir denkst – ich bin immer noch deine Frau. Ich war dir eine ergebene Dienerin und …«
Mit dem Handrücken streckte er sie flach auf den Fußboden. »Du bist mir eine ergebene Dienerin gewesen? Damit, wie du mir gedient hast, hast du mich fast umgebracht!« fauchte er.
Judiths Finger legten sich auf ihr brennendes Gesicht, und ihr Magen zog sich zusammen, als sie daran dachte, wie er sie das letzte Mal geschlagen hatte. Sie nahm Rolfe gar nicht mehr zu Kenntnis. Die haßerfüllten Augen ihres Mannes durchbohrten sie. Er würde ihr nicht gnädig sein, das wußte sie jetzt. Sie konnte sich wohl doch nur noch mit Lügen retten.
»Niemand hätte dich davon abhalten können, dich in die Selbstvergessenheit zu trinken, William«, sagte sie.
»Mir war es nicht recht, aber was hätte ich denn tun können?«
»Lügnerin!« zischte er, und sie wand sich, als er einen Schritt näher auf sie zukam. »Du hast mich darin unterstützt, zu trinken. Glaubst du etwa, das wüßte ich jetzt nicht? Und der einzige Mensch, der mir hätte helfen können, war nicht hier. Du hast auch dafür gesorgt, daß Leonie nicht hierher zurückkommt, während du mich belogen und mir eingeredet hast, ich sähe sie häufig. Warum hast du Leonie von mir ferngehalten?«
Judith erstarrte vor Entsetzen. Wie hatte er sich jetzt schon soviel zusammenreimen können? In ihrer Verzweiflung stürzte sie sich auf den ersten Gedanken, der ihr kam. »Ich habe es für dich getan. Und für sie. Siehst du denn nicht ein, was es bei ihr angerichtet hätte, wenn sie dich in dieser Verfassung gesehen hätte? Ich habe versucht, dir die Schande zu ersparen. Und ich habe mich bemüht, ihre Unschuld zu behüten.«
»Beim geheiligten Blute Christi! Hältst du mich für einen solchen Narren?« krächzte William. »Die einzige, die du beschützt hast, war deine eigene widerwärtige Person! Du wußtest, daß ich nichts von dir wissen wollte und dich aus dem Haus geworfen hätte, wenn ich bei Sinnen gewesen wäre. Und daher hast du dafür gesorgt, daß ich nicht einen Moment lang bei klarem Verstand war. Und ich glaube, daß du meine Tochter von mir ferngehalten hast, indem du ihr eingeredet hast, sie sei hier nicht
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