Wenn die Liebe erwacht
Haar glatt. Sie rief dem Dienstboten zu, sie würde ihren Gast sogleich empfangen.
»Ich werde mich rar machen«, sagte Richer. »Für den Fall, daß er seine Frau mitgebracht hat.«
Judith sah ihn verblüfft an. Noch nie hatte sie Unsicherheit in Richers Stimme gehört.
Sie runzelte die Stirn und sagte nervös: »Ja, das wäre wohl das Beste. Wenn der Lord von Kempston auch nur die geringste Zuneigung zu meiner Stieftochter gefaßt hat, wäre es unklug, ihn an dich zu erinnern. Es könnte dazu kommen, daß sie mit ihrem Mann über dich spricht, und es wäre nicht absehbar, wohin das führt.«
In dem großen Saal von Montwyn stand Rolfe d’Ambert mit zwei von seinen Rittern und wartete. Es war kein reiner Höflichkeitsbesuch, und Judith erschrak sofort, als sie Rolfes bedrohliche Miene sah. Sein Gesicht drückte nicht die geringste Freundlichkeit aus, und als er nähertrat, täuschte er nicht die Spur eines Lächelns zur Begrüßung vor. Zumindest war Leonie nicht mitgekommen, und sie hoffte, ihre Abwesenheit würde ihn weniger selbstherrlich handeln lassen, als es den Anschein erweckte.
Judith nickte ihm höflich zu. »Lord Rolfe …«
»Was ist mit Ihrem Mann? Wie lange wird er mich noch warten lassen?«
»Sie warten lassen? William ist unpäßlich, Sir Rolfe. Die Dienstboten wissen, daß sie ihn nicht stören dürfen.«
»Dann schlage ich vor, daß Sie ihn holen.«
Sie bedachte ihn mit ihrem betörendsten Lächeln. »Sie haben doch sicher nichts dagegen, sich statt dessen mit meiner Gesellschaft zu begnügen? Ich werde William später sagen, daß Sie hier waren.«
»Nein, Lady Judith«, sagte Rolfe. »Ich habe etwas mit Ihrem Mann zu besprechen und nicht mit Ihnen. Werden Sie ihn jetzt holen, Mylady, oder soll ich es tun?«
»Aber er ist wirklich unpäßlich«, beharrte Judith besorgt. »Ich … ich bezweifle, daß er Sie auch nur erkennen würde, Mylord.«
»Ist er so früh am Tag schon betrunken?« knurrte Rolfe angewidert.
Judith zuckte die Achseln. Vielleicht war es das Beste, wenn er es erfuhr, denn dann würde er sie kein zweites Mal belästigen. »Die traurige Wahrheit, Mylord, ist, daß William sehr selten nüchtern ist.«
»Ich verstehe.«
Rolfe wandte sich an seine Männer und sagte: »Wir werden hierbleiben und dafür sorgen, daß der Mann vollkommen ausgenüchtert wird und trocken bleibt. Gebt Sir Thorpe Bescheid, daß wir heute nicht zurückkommen. Es ist das Beste, wenn er gleich wieder nach Warling reitet – der Teufel soll mich holen! Es läßt sich überhaupt nicht sagen, wie lange das dauern kann!«
Judith fiel es schwer, ihre zunehmende Furcht zu verbergen. »Was wollen Sie von meinem Mann, Sir Rolfe?«
Rolfes schwarze Augen richteten sich fest auf sie. »Das ist nicht Ihre Angelegenheit.«
»Aber … aber sie können doch nicht einfach …«
»Nein?« unterbrach er sie mit gesenkter Stimme. »Vielleicht haben Sie gern einen Trunkenbold zum Mann?«
»Natürlich nicht.« Es gelang ihr, entrüstet zu wirken. »Ich habe versucht, sein Trinken zu unterbinden, aber ohne Alkohol kommt er nicht aus. Es ist mir nicht gelungen, ihm zu helfen.«
»Dann werden Sie mir dankbar sein, wenn ich Ihnen unter die Arme greife. Ich werde dafür sorgen, daß er bald wieder vollkommen bei sich ist und mich durchaus versteht. Und jetzt zeigen Sie mir bitte den Weg. Ich werde mich augenblicklich an diese unangenehme Aufgabe machen.«
Judith geriet in Panik, und sie steigerte sich unablässig, als die Tage vergingen und Rolfe d’Ambert beharrlich die Aufgabe ausführte, die er sich selbst gestellt hatte. Sie zog sogar in Erwägung, den arroganten Lord zu töten oder William, aber ersteres war unmöglich und letzteres unklug, wenn William starb, erbte Leonie alles. Judith würde ohne einen Penny vor die Tür gesetzt werden. Leonie würde ihr gegenüber keine Milde walten lassen, soviel stand fest.
Wenn sie doch nur gewußt hätte, was den Lord von Kempston zu William geführt hatte, aber er ging nicht auf ihr Flehen ein, ihr den Grund seines Besuchs zu erklären. Richer beharrte darauf, daß sie sich umsonst Sorgen machte, aber warum war Rolfe d’Ambert so wütend, und so rücksichtslos entschlossen, William in einen Zustand zu bringen, in dem er Zusammenhänge verstand und auf Vernunft reagierte?
Der Lord von Montwyn wurde viele Male gebadet und rasiert und wieder gebadet, obwohl er fluchte und alles tat, um seine Folterknechte abzuschütteln. Er wurde mit Nahrung vollgestopft, die er doch
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