Wenn die Liebe erwacht
Leibeigene und Frauen durften ungeschickt sein, kriegerische Männer nicht.
»Ich gebe zu, daß du recht hast«, kam sie ihm entgegen. »Dennoch finde ich, daß du übermäßig grob zu dem Jungen warst. Ein wenig Geduld ab und zu wäre euch beiden von Nutzen.«
»Du empfiehlst mir Geduld mit Damian – was empfiehlst du mir bei dir?«
Leonie hob langsam ihren Blick, sah ihm ins Gesicht und fragte in einem einschmeichelnd unschuldigen Tonfall: »Habe auch ich euch Mißvergnügen bereitet, Mylord?«
Rolfe fand das gar nicht lustig. Ihr Versuch, seinen Zorn leichthin abzutun, erboste ihn.
»Was empfiehlst du mir?« wiederholte er finster.
»Den Rückzug.«
»Das ist indiskutabel.«
»Dann ebenfalls ein gewisses Maß an Geduld, Mylord.«
»Geduld, die nicht belohnt wird, ist die Mühe nicht wert«, gab er zurück.
Das war eine Warnung. Er erwartete zuviel. Wenn er nicht bereit war, nachzugeben, war sie es auch nicht.
»Nur die, die es verdienen, werden belohnt.«
»Soll das heißen, daß ich keine Belohnung verdient habe?«
»Das müßt ihr mit eurem eigenen Gewissen aushandeln, Mylord.«
»Verdammt noch mal, was hat mein Gewissen damit zu tun?« fragte er ärgerlich. »Mein Gewissen ist rein.«
»Zweifellos«, erwiderte sie.
Jedes weitere Wort wäre gefährlich gewesen. Rolfe leerte seinen Weinkelch auf einen Zug und ließ ihn sofort wieder füllen.
Leonie stieß einen Seufzer aus. Sie hätte gar nicht erst darüber reden sollen. Es war sinnlos, mit einem solchen Mann zu argumentieren.
Die meisten Männer lebten nach einer doppelten Moral, und ihr Mann war keine Ausnahme. Man konnte ihm nicht klarmachen, daß er sich irrte, und seine Integrität konnte man so, wie er sie sah, nicht in Frage stellen. Für ihn war nichts Unrechtes daran, wenn er sich in demselben Haushalt, in dem er mit seiner Ehefrau lebte, eine Mätresse hielt. Oder wenn er seiner Mätresse die Führung des Haushalts überließ. Die Ehebrüche eines Mannes wurden immer mit einem Augenzwinkern abgetan, aber wehe der Frau, die einen Hang zu Seitensprüngen hatte. Scheinheilige, sie alle! Sie würde wohl damit leben müssen, denn sie konnte nichts daran ändern, aber sie brauchte die Heuchelei nicht mitzumachen.
Das Essen war mißlungen, aber Leonie hatte ohnehin keinen Appetit. Es war schon schlimm genug, essen zu müssen, wenn man vor Anspannung einen Kloß im Magen hatte, aber das Essen war zudem noch schlecht, schmeckte nach nichts, und jede Würze fehlte ihm. Selbst die Hackfleischpastete, die mit Milch und Brotkrumen zubereitet war und als Brotaufstrich diente, war ohne Kräuter zubereitet. Es gab Schafskäse, doch die Butter, die den Gemüsen gut getan hätte, war ranzig. Ihr Gestank konnte es mit der Spreu auf dem Fußboden aufnehmen.
»Darf ich mich mit eurer Erlaubnis zurückziehen, Mylord?«
Rolfe sah sie lange an, ehe er unfreundlich nickte. Doch in dem Moment, in dem sie sich abwandte, rief er sie zurück.
»Laß ab von deinem Groll, Leonie. Ich komme bald zu dir.«
Es war noch früh, und Leonie wollte ihren Mann überall sonst lieber erwarten als im Bett. Die Erinnerungen, die dieses Bett wachrief, lagen im Widerstreit mit ihrer Erbitterung und riefen eine Ausweglosigkeit hervor, die sie im Zimmer auf und ab laufen ließ. Es war nicht gerecht, daß er sie derart im Ungewissen ließ. Sie konnte Rolfe d’Ambert nicht wirklich als Ehemann besitzen, er ließ sie andererseits nicht in Ruhe. Ihr blieb nur die Enttäuschung und Hoffnungslosigkeit, und beides würde sie ertragen müssen, bis er seinen neuesten Besitz nicht mehr amüsant fand.
Als Rolfe nach einer Weile immer noch nicht gekommen war, suchte Leonie aus ihren Truhen im Vorraum die Rechnungsbücher von Pershwick heraus. Sie nahm sie mit zu einem der Stühle vor dem kalten Kamin und ließ sich dort nieder. Sie hatte die Rechnungsbücher mitgenommen, um sie aufs laufende zu bringen, ehe sie sie Sir Guibert übergab.
Die vielen langen Stunden, die sie damit verbracht hatte, Lesen und Schreiben zu lernen, waren jetzt umsonst, und ihr Können war verschwendet – zumindest für die nächste Zeit. Wie lange er sie wohl hier behalten würde? Wenn sie das nur gewußt hätte.
Stunden später fand Rolfe Leonie zusammengesunken auf dem Stuhl. Die Pergamente waren auf ihrem Schoß ausgebreitet, und auf dem niedrigen Tisch neben ihr stand ein Tintenfaß. Damit hatte er nicht gerechnet. Die Kirche, in deren Händen die Lehre lag, hielt nichts davon, Frauen etwas
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