Wenn die Liebe erwacht
Goldketten bis auf ihre Füße fallen.
In dem silbernen Kästchen lagen Hunderte von kostbaren Steinen, die bereits kunstvoll in Gold gefaßt waren. Sie ließen sich mühelos auf die Kleider aufnähen, die Leonie aus den prächtigen Stoffen anfertigen würde. Sie hielt ein Vermögen in ihren Händen.
Sie stand benommen und hingerissen davor. Doch selbst jetzt stellte sie fest, daß sie sich fragte, ob er sich Amelia gegenüber ähnlich großzügig erwiesen hatte.
33. KAPITEL
Sie trug ihren besten Überwurf aus glatter blauer Seide über einem Hemd, das in einem dunkleren Ton gehalten war; und doch war Leonies Selbstvertrauen sehr gering, als Rolfe sie in den großen Saal von Westminster führte. Nur der neue Gürtel paßte zu dem reichen Prunk der höfischen Kleidung.
Sie wurde zu Prinzessin Alice und ihren Gesellschafterinnen geführt und dort zurückgelassen, da es noch zu früh war, um sie dem König vorzustellen. Leonie kannte Prinzessin Alice, Heinrichs allgemein bekannte Mätresse, nicht, aber sie hatte bei einem der Besuche, die sie dem Hof in ihrer Kindheit abgestattet hatte, Königin Eleonore kennengelernt. Es hieß, daß sie Heinrichs Söhne zum Aufstand angestiftet hatte. Ob dem nun so war oder nicht – er hatte sie nach Windsor verbannt. Der Umstand, daß die Königin mehr oder weniger gefangengehalten wurde, während Heinrichs Mätresse an seiner Seite weilte, erinnerte Leonie an ihre eigene Situation, und ihre Laune verschlechterte sich.
Sie war enttäuscht, daß sie die Königin nicht treffen würde. Sie war eine wunderschöne Frau mit dunkelbraunen Augen und einer Elfenbeinhaut, und es war kein Wunder, daß sie die Gemahlin zweier Könige gewesen war. Ihre Ehe mit König Ludwig von Frankreich war wegen zu naher Verwandtschaft aufgelöst worden. Aber sie waren nur Cousins vierten Grades gewesen, und die Auflösung der Ehe war bewirkt worden, damit sie Heinrich heiraten konnte.
Heinrich war zwei Jahre nach seiner Heirat mit Eleonore der Nachfolger Stephans auf dem englischen Thron geworden. Er war bereits Herzog der Normandie und Graf von Anjou, und durch die Eheschließung war ihm Aquitanien zugefallen, was ihn zum Herrscher über den gesamten Westen Frankreichs gemacht hatte. Er war der mächtigste Mann in ganz Europa.
Leonie hatte Eleonore als eine fröhliche, frivole Frau in Erinnerung, die recht temperamentvoll und sehr eitel war. Doch Leonies Mutter hatte ihr beteuert, Eleonore sei reifer geworden. Sie war zwölf Jahre älter als Heinrich, und möglicherweise war das der Grund, aus dem der König sie abgeschoben hatte, um sich eine jüngere Frau zu suchen.
Alice, die Tochter König Ludwigs, war nicht älter als Leonie. Sie war mit Heinrichs Sohn Richard verlobt worden, aber das hatte Heinrich nicht davon abgehalten, sie vor vier Jahren zu seiner Mätresse zu machen, ein Umstand, den er gar nicht erst zu verbergen versuchte, nachdem er die Königin vom Hof verbannt hatte.
Erstaunlich war, daß Alice nicht schön war, noch nicht einmal besonders hübsch. Ihre Hofdamen wiesen immer wieder darauf hin, daß Heinrich sich daran erfreute, wie geistreich sie war. Leonie wurde vertraulich mitgeteilt, wie sehr Heinrich Alices Anmut beim Tanzen oder Laufen bewunderte. Es schien, als suchten diese schönen Damen Gründe dafür, warum ihr König sie nicht vorzog, doch der einzige Grund, den sie hätten anführen müssen, war der, daß Heinrich Alice zweifellos ebensosehr liebte wie sie ihn.
Leonie hätte sich für die Prinzessin erwärmen können, wenn sie in Alice nicht ausschließlich die andere Frau und in Heinrich den untreuen Ehemann gesehen hätte. Wenn sie Alice ansah, wurde sie sofort an Amelia erinnert. Daher war sie nicht gerade bestens gelaunt, als Rolfe kam, um sie zum König zu führen.
Heinrich hatte sich in den sechs Jahren, seit Leonie ihn das letzte Mal gesehen hatte, kaum verändert. Er war nach wie vor ein ehrfurchtgebietender Mann. Auch an seiner Nachlässigkeit, was seine Kleidung anging, hatte sich nichts geändert. Er fand offensichtlich keine Zeit für seine Schneider, denn wenn seine Kleidung auch kostspielig war, so saß sie doch nicht gut.
»Ich habe Ihrem Mann einen schlechten Dienst erwiesen, als ich ihm erzählte, Sie seien ein unansehnliches Kind gewesen. Ich habe sogar versucht, Sie ihm auszureden. Ich sehe jetzt, daß er mir nie verziehen hätte, wenn es mir gelungen wäre.«
Das waren die ersten Worte, die Heinrich an sie richtete, als er sie von Rolfe
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