Wenn die Liebe erwacht
geheimhalten kann.«
»Wollen Sie damit sagen, daß Sie ein Kind von meinem Mann erwarten?« sagte Leonie mit ruhiger Stimme.
»Ja, das Kind ist von Rolfe«, erwiderte Amelia. »Er leugnet es nicht.«
In dem Moment wurde Leonie plötzlich vieles klar. Kein Wunder, daß Rolfe sich weigerte, Amelia fortzuschicken! Es war fast erleichternd, es endlich zu wissen.
Leonies Blick glitt über Amelias Figur, die so überschlank wie immer war, und sagte eisig: »Wann sind Sie schwanger geworden?«
»Welchen Unterschied …«
»Antworten Sie mir, Amelia!«
Amelia zuckte die Achseln. »Vor einem Monat.«
Leonie rechnete eilig nach. Es war einen Monat her, seit sie nach Crewel geholt worden war, um hier zu leben. Sie konnte sich allzu deutlich an die Nacht erinnern, in der Rolfe erbost ihr Zimmer verlassen hatte. Amelia war am nächsten Morgen außergewöhnlich gut aufgelegt gewesen.
Leonie verließ Amelia ohne ein weiteres Wort. Was gab es denn noch zu sagen? Doch die folgende Nacht war die elendste in ihrem ganzen Leben. Als sie allein war, schluchzte sie und verfluchte Rolfe für seine Schwäche und seine Lügen. Doch sie verfluchte auch sich selbst – weil es ihr so nahe ging, sie sich viel zu viel daraus machte.
Als am nächsten Tag eine weitere Nachricht von Alain Montigny eintraf, war Leonie zu zerstreut, um sich damit zu beschäftigen. Sie verräumte die Nachricht zusammen mit einigen anderen Papieren und vergaß sie sofort. Für den Rest der Woche versank sie in eine düstere Melancholie. Ihre Stimmung war durch den Schock ausgelöst worden, daß sie feststellen mußte, daß auch sie schwanger war.
Der Umstand, daß die Babys etwa gleichzeitig geboren werden würden, war höchst verräterisch. Es war nicht unüblich, daß ein Mann seine Frau bat, seine unehelichen Kinder aufzuziehen. Sie hatte keinen Grund, dieses Ansinnen abzulehnen, weil die Kinder vor ihrer Heirat mit ihrem Vater gezeugt worden waren. Doch es war etwas vollkommen anderes, Kinder zu akzeptieren, die nach der Eheschließung mit einer anderen Frau gezeugt worden waren.
Leonie glaubte nicht, daß Rolfe sie bitten würde, Amelias Kind aufzuziehen. Aber sie hatte kaum Zweifel daran, daß er sowohl das Kind als auch die Mutter in seiner Nähe haben wollte. Es war schließlich nicht das Kind einer Leibeigenen. Von einer solchen konnte man erwarten, daß sie ihr Kind hergab, weil sein Vater ihm ein weit besseres Leben bieten konnte als sie. Aber Amelia würde ihr Kind niemals aufgeben, und daher würde Rolfe Amelia behalten müssen.
Die Zukunft sah zunehmend düsterer aus. Leonie hatte jetzt nicht mehr die Hoffnung, Rolfe würde sie eines Tages fortschicken. Rolfe würde sie niemals gehen lassen, wenn er wußte, daß ein Kind unterwegs war.
Sie würde es ihm nicht sagen. Sie hatte noch die Hoffnung, ihn verlassen zu können, ehe ihr Körper die Wahrheit verriet. Vielleicht konnte sie sich bis nach der Geburt des Kindes in Pershwick verbergen. Sie entschied sich, ihm keinen Grund dafür zu liefern, daß er sie bei sich behalten wollte.
Leonie konnte eine gewisse Zuneigung mit anderen teilen, andere an ihrer Gabe des Heilens teilhaben lassen, aber sie konnte ihren Mann nicht mit einer anderen Frau teilen. Sie hatte immer die Hoffnung gehabt, Amelia würde fortgehen. Jetzt war diese Hoffnung zerstört. Es schien, als reiße es ihr das Herz aus der Brust, denn dort hatte sie einen Schmerz, der nicht nachließ, auch dann nicht, als die Tage vergingen.
Sir Bertrand und sein ältester Sohn Reginald kamen an einem späten Nachmittag mit der Neuigkeit nach Crewel, Rolfe hätte jemanden geschickt, um sie herzubestellen. Bertrand war Leonies Vasall in der Burg Marhill, einer der Burgen, die in ihrem Besitz waren. Warum ihr Mann Bertrand zu sich holen ließ, war ihr ein Rätsel.
Sie konnte an nichts anderes denken als daran, daß
Rolfe bald nach Hause kommen würde. Es gelang ihr, sich zu verhalten, wie es sich gehörte. Sie fragte nach der Ernte in Marhill, aber sie konnte sich später nicht mehr daran erinnern, was Bertrand auf ihre Fragen geantwortet hatte. Rolfes Heimkehr hatte sie in tiefe Verwirrung gestürzt.
Es gab viel zu tun. Sie unterhielt ihre Gäste, so gut sie konnte, und Sir Evarard half ihr dabei. Glücklicherweise hielt sich Amelia dem Saal fern. Es wurde spät, und Rolfe war immer noch nicht gekommen. Leonie ließ Zimmer für ihre Gäste bereitmachen, doch die Männer zogen es vor, im Saal sitzen zu bleiben, denn sie waren gespannt
Weitere Kostenlose Bücher