Wenn Die Nacht Anbricht
Schule, wo es aber nie so ausgesprochen worden war, wie Paul das tat. Er sagte, er hasse sie. Das wiederholte er mindestens zwanzigmal, während das Lagerfeuer sein Gesicht erhellte.
Es war dunkel und still um uns herum. Im Feuerschein sah er für mich aus wie Johannes der Täufer (der Heuschrecken gegessen hatte) oder ein anderer Prophet, der alle möglichen Dinge aus dem Himmel zu uns herabzuholen vermochte.
In der Kirche hatten wir die Geschichte von Kain und Abel gehört. Abel hütete die Tiere, und Kain bestellte die Felder. Gott der Herr bevorzugte Abels Opfer eines fetten erstgeborenen Tieres und nicht Kains Gaben aus Gemüse und Getreide. (Selbst noch im jugendlichen Alter ritt Tess auf dem Nachhauseweg immer wieder auf dieser Bibelstelle herum: »Glaubt ihr, Gott hätte vielleicht Kürbisse gemocht? Denkt ihr, Kain ist in solche Schwierigkeiten geraten, weil Gott keine grünen Bohnen vertragen hat oder was?« Irgendwann befahl ihr Papa immer, den Mund zu halten, weil sie blasphemisch daherrede, konnte dabei aber ein belustigtes Zucken in den Mundwinkeln nicht ganz unterdrücken.) Aber Kain war eifersüchtig auf Abel, weil Gott ihn bevorzugte, und tötete seinen Bruder. Gott der Herr hörte, wie ihn Abels Blut aus der Erde anrief, und er verdammte Kain dazu, auf ewig umherzuziehen. Und um sicherzustellen, dass Kain nicht ums Leben kam, ehe er lange genug unterwegs gewesen war, zeichnete er ihn mit dem Kainsmal.
Unser Sonntagsschullehrer, ein unscheinbarer Mann mit weiblich anmutenden Händen, erklärte uns, wie die Schwarzen entstanden waren: Gott habe auch sie mit dem Mal des Verdammten gezeichnet. Dem Mal der Verbrecher, dem Kainsmal. Dazu verurteilt, niemals Frieden zu finden und niemals gute Menschen zu werden. Ich hatte also die Bibel und die Kainsgeschichte, die Paul Kellys Abneigung gegen »Nigger« bestätigten. Sie verliehen dem Wort eine Art Rechtfertigung. Es hatte etwas Hässliches an sich, das war mir durchaus bewusst. Aber die Kirche war sowieso voller hässlicher Dinge – Blut und Kreuzigungen, Dornen, Schwerter und abgeschlagene Ohren –, die alle Teile von Gottes vollkommenem Plan waren. Was war also der Unterschied?
Tess
Ein schwarzer Mann hämmerte gegen unsere Tür, als wir alle schliefen. Unser Bett stand im vorderen Zimmer, und Virgie und ich setzten uns beide erschrocken auf, als wir den Lärm hörten. Sie legte sich eine Decke um die Schultern und ging zur Tür, obwohl das eigentlich verboten war. Ich sprang ebenfalls auf und streckte den Kopf zur Zimmertür hinaus. Papa erhob sich gerade ächzend, als Virgie rief: »Wer ist da?«
»Virgil, Ma’am. Ich arbeite für Ihren Daddy.«
Das stimmte. Ich konnte mich daran erinnern, dass er schon einmal bei uns gewesen war. Manchmal kamen die schwarzen Männer zu uns, damit Papa ihnen half, nicht ins Gefängnis zu kommen. Die Polizei verhaftete sie ständig wegen Spielerei oder Vagabundierens, wenn sie in der Gegend herumliefen. Die Polizei nahm ihren Steigern dann Geld ab, wenn diese wollten, dass die Männer am nächsten Tag zur Arbeit erschienen.
Virgie öffnete die Tür. Gleichzeitig tauchte Papa auf, sein Hemd erst halb über seinem Unterhemd zugeknöpft. »Ist was passiert, Virgil?«
»Ja, Sir – Mr. Moore. Jonah ist im Gefängnis gelandet.« Er gab sich große Mühe, weder Virgie noch mich anzusehen, obwohl wir direkt vor ihm standen.
»Jonah?« Papa wirkte überrascht. Ich brauchte einen Moment, um zu verstehen, dass ich Jonah bisher nur als Mr. Benton gekannt hatte. »Weshalb?«
»Er ist anscheinend betrunken gewesen und hat sich ungebührlich verhalten.«
»Jonah?«, wiederholte Papa, wobei er diesmal eher mit sich selbst zu sprechen schien. Er ging zu Mama ins Schlafzimmer und sagte etwas zu ihr, ehe er mit seinen Stiefeln in der Hand zur Tür zurückkehrte. »Ich komm gleich mit, Virgil. Wart auf mich.«
Virgil blieb auf der Veranda stehen, drehte aber dem Haus den Rücken zu, während sich Papa an die Wand lehnte und seine Stiefel anzuziehen begann. Er hielt inne, als er Jack sah, der schlaftrunken aus dem Zimmer torkelte und sich die Augen rieb. Sein Nachthemd leuchtete weiß im Mondlicht, das durch die offen stehende Haustür auf ihn fiel. Er sah Virgil stirnrunzelnd an und meinte dann: »Warum ist der Nigger da, Pop? Ich hasse Nigger.«
Ehe ich auch nur blinzeln konnte, hatte Papa ausgeholt und Jack so fest auf sein Gesäß geschlagen, dass man hörte, wie die Luft aus Jacks Mund schoss. Dann riss er ihn
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