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Wenn Die Nacht Anbricht

Titel: Wenn Die Nacht Anbricht Kostenlos Bücher Online Lesen
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daran gedacht hat«, erwiderte Virgie. Der dumme Schmetterling landete auf ihrer Schulter. Sie bemerkte ihn nicht einmal, und ich wies sie nicht darauf hin.
    »Ich wette, dass sie schon lange keinen Besuch mehr hatten«, fuhr ich fort. »Ich wette, dass sie froh waren, uns zu sehen.«
    »Sei still, Tess.«
    »Was?«
    Sie sprang auf. »Kannst du nicht einmal einfach nur dasitzen und nichts sagen? Dein Gerede macht mir Kopfschmerzen.«
    Sie hatte laut geschrien, was mich ziemlich überraschte. Virgie verlor sonst nie die Nerven. Sie verschloss sich stattdessen, wurde kalt und hart und schien weit weg zu sein. Selbst damals, als ich einen Finger in Asche getaucht und ihr, während sie schlief, große Augenbrauen und einen Schnurrbart ins Gesicht gemalt hatte. Da war sie nur aus dem Bett gesprungen und ohne ein Wort davongestürzt. Aber diesmal zitterte sie fast vor Erregung.
    »Ich hab doch nur so dahingeredet. Dafür musst du mir nicht gleich den Kopf abreißen«, sagte ich.
    »Dann hör mit dem Reden auf.«
    »Und du mit dem Zuhören.«
    »Du bist echt ein Baby.«
    »Und du eine Nervensäge.«
    »Ich hab gesagt, du sollst mit dem Reden aufhören.«
    »Das kannst du so lange sagen, wie du willst!«
    Sie seufzte gereizt und lief zum Wald hinüber. Obwohl ich zufrieden war, das letzte Wort gehabt zu haben, war ich verwirrt. Und diese Verwirrung gewann die Oberhand. »Was ist denn los mit dir?«, rief ich ihr hinterher, gerade als sie das Ende unseres Hofs erreicht hatte.
    Sie blieb stehen, drehte sich aber nicht zu mir um. »Ich find einfach, dass das, was wir heute gemacht haben, nicht so nett war.«
    In jener Nacht träumte ich einen Traum, der mehr aus Lauten als aus Bildern bestand. Mrs. Lowes Baby Frankie heulte verzweifelt unter Wasser, doch statt einer Stimme kamen nur Blasenketten aus seinem Mund. Ich selbst stand bis zu den Knien im Wasser, als ich nach unten fasste und ihm meinen Finger in den Mund schob. Er lächelte und lächelte, während er daran saugte. Ich tat nichts, um ihn aus dem Wasser zu ziehen.
    Leta
    Die Mädchen waren beim Abendessen auffallend still. Dabei war ich mir sicher, dass sie Fladen und Soße mochten. Aber sie aßen derart langsam, als müssten sie sich zum Essen zwingen. Ich hatte nicht alle Klümpchen aus der Soße geschlagen, und die Fladen waren auch nicht so aufgegangen, wie ich mir das gewünscht hätte. Meine Schwester Merilyn machte unglaublich lockere Fladen, mehr Luft als Teig, doch meine wurden nie so leicht. Vielleicht waren sie an der Unterseite auch etwas zu braun geworden.
    »Stimmt was nicht, Tess?«, fragte ich. Sie war meist leichter zugänglich als Virgie.
    »Doch, alles in Ordnung, Ma’am.«
    »Schmecken dir die Fladen nicht?«
    »O doch. Sie sind sehr gut.« Sie schob sich einen halben Fladen in den Mund, um mir zu zeigen, wie gut sie ihr schmeckten.
    »Glaubst du, es geht ihnen gut, Albert?« Ich warf einen Blick zu ihm hinüber. Er hatte seinen Teller leer gegessen und nahm sich gerade einen weiteren Fladen.
    »Wem?«, fragte er. Ganz offensichtlich dachte er an nichts anderes als daran, wo der Löffel für die Soße geblieben war. Ich holte ihn unter einem Stück Stoff hervor und reichte ihn ihm.
    »Den Mädchen. Sie sind heute so still.«
    »Wahrscheinlich zu sehr mit Essen beschäftigt«, meinte er. »Die besten Fladen der Welt, Leta-ree. Es gibt keine bessere Köchin als eure Mama. Vergesst das nie.«

5 Jonah
    Jack
    Manchmal durfte ich mit den Jungs aus der Schule zu einem Lagerfeuer. Nicht über Nacht – jedenfalls nicht bis ich zehn oder zwölf Jahre alt war –, aber lange genug, um Marshmallows zu rösten und eine Weile ums Feuer zu sitzen.
    Wir waren eine kleine Clique, von der Paul Kelly stets den Mittelpunkt bildete. Er war ein großer Junge, drei Jahre älter als ich, und er traf jedes Eichhörnchen und jeden Vogel, auf die er zielte. Außerdem zündete er das Lagerfeuer an. Ich hatte gesehen, wie er sich mit älteren Burschen aus der Oberschule schlug und sie besiegte. Einmal aß er eine Kakerlake, um zu zeigen, was er alles draufhatte.
    Eines Abends schloss er eine Wette mit uns ab. Er wettete, dass er die Luft so lange anhalten könne, bis er das Feuer entfacht hatte. Und das schaffte er auch. Es dauerte nur wenige Sekunden, bis die ersten Funken aus seinem Feuerstein den kleinen Haufen aus Laub und Zweigen entzündeten. Dabei wurde er nicht einmal rot. Paul Kelly. Er war derjenige, der immer von »Niggern« redete. Ich kannte das Wort aus der

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