Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Wenn Die Nacht Anbricht

Titel: Wenn Die Nacht Anbricht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: authors_sort
Vom Netzwerk:
was ich noch nicht gewusst hatte, und das war für ihn das Wichtigste und Erfreulichste an der Sache gewesen. Danach nahm er mein Geld entgegen und ließ Jonah frei.
    Als wir die Tür hinter uns geschlossen hatten, rollte Jonah seinen Kopf hin und her und streckte den Rücken durch, bis es knackste – eine Angewohnheit, die wir alle hatten. Jahre des Buckelns gaben einem das Gefühl, ständig eine Faust im Rückgrat zu haben – eine Faust, die auch dann noch da war, wenn man eine Weile gesessen hatte. Außer dem Knacken des Rückens gaben wir nie viele Geräusche von uns, wenn wir uns durch die dunklen Schächte zur Lore vorarbeiteten. Jonah redete nicht viel und erwartete auch von mir nicht, dass ich was sagte. Wir konnten stundenlang die Loren beladen und Kohle abbauen, ohne auch nur ein Wort zu verlieren. Wenn einer von uns das Bedürfnis hatte zu reden, dann gab es immer einen Grund dafür.
    Sobald ich den Wagen auf die Straße hinausfuhr, spürte ich, dass er mich ansah.
    »Tut mir leid, dass ich Sie aus dem Bett geholt hab und Ihre Familie wecken musste«, sagte er und räusperte sich. »Ich danke Ihnen. Ich hätte Sie nicht holen lassen, wenn ich das Geld gehabt hätte, ihn selbst zu bezahlen. Ich versprech Ihnen, es nächste Woche zurückzuzahlen.«
    Unsere Gehaltsschecks kamen alle zwei Wochen, das machte das Leben etwas einfacher. Als ich anfing – also noch bevor ich Leta heiratete –, wurde man nur einmal im Monat bezahlt. Das bedeutete, dass die meisten Kumpel in der letzten Woche oder auch schon früher die Firma um Geld angehen mussten. Wenn sie dann ihren Scheck bekamen, mussten sie ihn im Grunde gleich wieder zurückgeben, weil so viel Zinsen angefallen waren. Die Streiks hatten uns nicht mehr Geld gebracht, aber zumindest hatten sie bewirkt, dass wir dieselbe Summe jetzt in zwei Teilen bekamen.
    »Hat keine Eile«, sagte ich. Es wäre eine Beleidigung gewesen, wenn ich ihm erklärt hätte, dass er es nicht zurückzahlen müsse.
    »Ich hab nichts getrunken. Wollt ich nur sagen.«
    »Ich weiß, dass du nichts getrunken hast.«
    »Meine Frau musste sich heute um die zwei kranken Kinder kümmern. Sie hatte keine Zeit, Holz zu sammeln, und erst als wir schon ins Bett gehen wollten, fiel mir auf, dass das Feuer fast aus war. Also wollte ich noch schnell ein paar Äste aus dem Wald holen. Schließlich soll den Kindern nicht kalt werden, vor allem, wenn sie sowieso schon krank sind.«
    Ich starrte auf die Straße in die Dunkelheit hinaus.
    »Hat er dir früher schon mal Probleme gemacht?«, wollte ich wissen.
    »Nein. Bisher bin ich ihm noch nie begegnet.«
    »Meistens lernt er nur die Taugenichtse unter euch kennen. Er kennt den Unterschied zwischen dir und denen vermutlich gar nicht.«
    »Gibt es denn einen Unterschied?« Er fragte nicht so, als wollte er besonders klug klingen. Jedenfalls kam mir das nicht so vor. Ich gab ihm die erste Antwort, die mir einfiel.
    »Es gibt einen Unterschied. Ich weiß, dass du dich an die Regeln hältst. Das kann man nicht von allen behaupten.«
    Er erwiderte nichts, sondern starrte nur aus dem Fenster. Ich nahm an, dass ihn meine Worte freuten. Dann sagte er mehr, als ich jemals von ihm gehört hatte.
    »Ich hab einen Cousin in Birmingham, der immer von Besserung spricht. Dass wir das tun sollen, was uns die Bosse sagen, dass wir hart arbeiten, nicht Karten spielen oder unseren Lohn vertrinken sollen und nur so was Vernünftiges erreichen können. Also, ich hab seit meiner Hochzeit vor neun Jahren keinen Schluck mehr getrunken. Meine Frau mag es genauso wenig wie Ihre. Aber nicht trinken und nicht Karten spielen heißt nicht, dass Geld in meiner Tasche ist, wenn’s keines gibt. Der Boss zahlt uns sieben Dollar die Woche, und Essen und Miete und Kleider für die Kinder kosten sieben Dollar und fünfzig. Es hat keinen Sinn, jemand Vorwürfe zu machen, dass wir ganz unten stehen. Es gibt viele, die ganz unten stehen und garantiert keinen Spaß dabei hatten, dahin zu kommen.«
    Ich bemerkte, dass er mich anschaute, hielt den Blick aber weiterhin auf die Straße gerichtet. Im Grunde gab es darauf keine Antwort.
    »Sie haben Land und wissen nicht, wie das ist«, fügte er hinzu. »Ich will mich nicht beklagen. Aber für uns ist es anders.«
    Ich war so still wie ein Baumstamm und dachte nach. Zum ersten Mal in dieser Nacht begann Jonah, unruhig zu werden. »Sie sind nicht wütend auf mich, weil ich gesagt hab, was ich denk, oder? Ich wollte Sie nicht

Weitere Kostenlose Bücher