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Wenn Die Nacht Anbricht

Titel: Wenn Die Nacht Anbricht Kostenlos Bücher Online Lesen
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den Friedhof, um meine Großmutter und meinen Großvater zu besuchen – die Eltern von Mama –, aber die waren schon lange tot, bevor ich auf die Welt gekommen bin.«
    »Ich kenn viele Tote, aber nicht auf dem Friedhof«, meinte Lou Ellen.
    »Wo denn sonst?«
    »Wenn man kein Geld hat, um jemand auf dem Friedhof zu begraben, vergräbt man ihn hinterm Haus«, meinte sie. »Mama hat schon drei hinterm Haus begraben.«
    »Drei Tote?«
    »Drei Babys. Zwei von ihnen kamen blau auf die Welt. Und eines war plötzlich tot.«
    Sie trat mit den Füßen gegen die Ballen, als wäre es etwas ganz Normales, tote Babys hinterm Haus zu haben. Als wäre es normal, dass der Tod mit dem Gras, mit der Sonne und mit dem Wassereimer zu einem kam.
     
    Albert
    Der Lärm der spielenden Kinder – Schreie, lautes Lachen und ein dumpfes Plumpsen, das mich jedes Mal auf ein entsetztes Weinen warten ließ – war leiser geworden. Ich wusste nicht, wen Tess und Jack dazu überredet hatten, herüberzukommen und mit ihnen zu spielen, aber das Haus erbebte vor Ausgelassenheit. Ich hatte keine Lust gehabt, mich damit auseinanderzusetzen oder hinauszugehen und ihnen zu erklären, dass sie ruhiger sein oder woanders spielen mussten. Es war einfacher, sich auf die hintere Veranda zu verziehen und neben Tess’ Brunnen zu stehen. Tess saß nie mehr dort, obwohl wir sie so viele Jahre immer wieder hier fanden und sie mit herabgezogenen Mundwinkeln und einem Schluchzen von dem Brunnen und der Stille loseisen mussten.
    Ich verstand, warum es ihr dort so gefallen hatte. Man konnte hinter dem Haus für sich sein. An dem Verandageländer lehnend, mit dem rauen Holz unter meinen Händen, hörte ich Jack und einen anderen Jungen, wie sie vor dem Haus herumtobten. Ich hörte Leta in der Küche klappern; es waren ruhige und zielgerichtete Geräusche. Doch ich konnte für mich sein, noch immer in meinen verdreckten Arbeitsklamotten, das Hemd hart vor getrocknetem Schweiß, die Beine schmerzend von der langen Arbeit. Aber ich wollte mich noch nicht waschen, ich wollte mich noch nicht hinsetzen, ich wollte noch um keinen meine Arme schlingen. Noch nicht.
    Was ich wirklich gewollt hätte, wäre Jonah zum Abendessen einzuladen und mich dann mit ihm auf die Veranda zu setzen und zu reden. Um herauszufinden, ob er Bill Clarks Theorie, jemand wolle unser Wasser vergiften, schlüssig fand. Um zu erfahren, ob ich seiner Meinung nach die ganze Sache auf sich beruhen lassen und einfach vergessen solle. Ich dachte, ich sollte es vielleicht tun.
    Neben Bill wohnte jahrelang ein Schwarzer, bis die Gruben schlossen und der Mann nach Detroit zog. Niemand verlor jemals ein Wort darüber. Es gab kein Gerede und kein Geflüster hinter vorgehaltener Hand oder merkwürdige Blicke. Deshalb plante ich, genau das zu tun: Ich wollte sehen, ob Jonah Lust hatte, eine Weile zu mir auf meine Veranda zu kommen und sich mit mir zu unterhalten.
    Ich lauschte den Grillen und spürte die kühle Luft. Ins Haus wollte ich immer noch nicht.
    »Papa?«
    Ich blickte nach unten und entdeckte Tess auf Höhe meiner Hüfte. »Wenn du eine Schlange wärst, hättest du mich jetzt erwischt«, meinte ich.
    Sie schnappte mit ihren kleinen Zähnen nach mir. Ein alter Scherz zwischen uns. »Was machst du hier, Papa?«
    »Nachdenken.« Ich fuhr mit der Hand langsam durch ihre zerzausten Haare, die sich sofort wieder aufstellten, sobald sie frei waren.
    »Warum denkst du nach?«
    Ich musste lachen. »Jetzt beleidige deinen Papa aber nicht. Ich denk oft nach.«
    »Ich weiß«, erwiderte sie mit kleinen Leta-Falten auf der Stirn. »Aber worüber denkst du nach?«
    Sie schien mir eine ebenso gute Zuhörerin wie ein Erwachsener zu sein, deshalb beschloss ich, ihr meine Überlegungen darzulegen.
    »Ich denk drüber nach, ob ich Mr. Benton einladen sollte. Vielleicht mal abends zum Essen.«
    Sie nickte – wie immer, wenn wir draußen auf der Veranda saßen und über unsere Pläne sprachen. »Ich hab die Talberts eingeladen, mit uns in der Baumwolle zu spielen«, erklärte sie und klang dabei recht zufrieden.
    Das überraschte mich. Trotzdem fragte ich bloß: »War’s schön?«
    »Ja, Sir. Sie sind nett und haben noch nie in der Baumwolle gespielt.«
    »Noch nie?«
    »Nein, Sir. Ich musst ihnen erst erklären, wie’s geht und so.«
    »Sind sie jetzt nach Hause?«
    »Ja, Sir.«
    »Wie bist du auf die Idee gekommen, sie einzuladen?«
    »Dachte, es könnte nett sein.«
    Es war ungewöhnlich für Tess, so etwas zu

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