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Wenn Die Nacht Beginnt

Wenn Die Nacht Beginnt

Titel: Wenn Die Nacht Beginnt Kostenlos Bücher Online Lesen
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nächsten Telefon, um den Notruf zu wählen. Ein schrecklicher Unfall, heulte ich. Bitte, kommen Sie.
    So schade. So traurig. Solch ein gut aussehender Mann. Und gerade am Beginn seines Erfolgs. Das Murmeln kam aus jeder Ecke.
    Aber das machte mir überhaupt nichts aus. So wenig, wie dieser letzte Anblick von Alexander, wie er mit schiefem Hals am Fuß meiner Treppe lag.
    Zwanzig Mal am Tag gehe ich jetzt über diese Stelle, ohne mit der Wimper zu zucken. Wie ich Ihnen schon sagte, meine Selbstbeherrschung ist wie Granit. Man könnte einen Grabstein darauf errichten, er würde tausend Jahre halten.
    Außerdem habe ich zurzeit so viele andere Dinge im Kopf. Meine neue Arbeitsstelle hält mich auf Trab. Charlotte sagt, sie hat noch nie jemanden gesehen, der sich so schnell in der Immobilienbranche zurechtgefunden hätte. Sie hat all die Monate vergessen, die ich auf der Suche nach einem Haus verbracht habe. Und Alexander war ein sehr guter Lehrer gewesen.
    Aber warte, warte mal, sagen Sie. Wie konntest du denn so munter in die Welt zurückspringen und die Klause der Gelehrsamkeit links liegen lassen um des turbulenten Geschäftslebens willen, so leicht, als ob ich nur meine Kleider wechselte?
    Die Antwort ist einfach. Der Besitz und das Renovieren des Hauses – meiner Leidenschaft, meines Herzens, meiner Seele – erforderte heroische Maßnahmen, ganz zu schweigen einen Haufen Geld.
    Man tut, was man tun muss – für die Liebe.

NANCY PICKARD Angst vor der Dunkelheit
    Freitag, 19. September
    Sie dachte, sie hätte bereits ihren ganzen Mut aufgebraucht.
    Allein dadurch, dass sie den Eingang des verlassenen Tunnels unter der Prärie von Kansas betrat, fühlte Amelia sich so, als ob sie jede Nervenfaser, die sie besaß, mobilisiert hätte. Vielleicht hatte sie gerade noch genug übrig, um ein Stückchen weiter in die unterirdischen Räume hineinzugehen. Und danach? Dann wäre ihr ganzer Vorrat an Wagemut völlig erschöpft, dessen war sich Amelia ziemlich sicher.
    Von der morschen Decke hing eine nackte Glühbirne herab, die ein kahles Licht verbreitete; wahrscheinlich wurde sie von irgendeinem alten Generator angetrieben, der dem Verfall überlassen worden war. Zugegeben, diese Glühbirne erleuchtete die ersten paar Meter dieses unterirdischen Raums, die Amelia erkennen konnte, trotzdem hielt sie den Atem an, während sie versuchte, genügend Mut aufzubringen, um sich vorwärts zu bewegen. Aber über das Licht hinaus konnte sie nichts sehen.
    Ein unvorstellbarer Schauplatz lag vor ihr.
    Ein antiquierter Friseurladen unter der Erde, mit Stühlen und allem Drum und Dran.
    Vor ihren erstaunten Augen wurde zum ersten Mal seit wer weiß wie vielen Jahren all das von dem fahlen Licht enthüllt.
    Die Wände des Friseurladens im Tunnel waren irgendwann einmal verputzt worden, aber den Schmutzfilm, der jetzt auf ihnen schimmerte, würde sie nicht berühren wollen. Amelia konnte nicht erkennen, mit welcher Farbe sie vielleicht einmal angestrichen worden waren, als die unterirdischen Kammern vor fünfundsiebzig Jahren entstanden waren – fünfzig Jahre, bevor sie geboren wurde. Sie wusste, es gab hier nicht nur diesen winzigen Friseurladen, sondern auch einen Krämerladen, eine Kirche und ein Rathaus. Amelia spürte, dass sie keinesfalls die Nerven hatte, all das zu erforschen – weder jetzt noch sonst irgendwann.
    Der verwitterte Holzboden ließ die Erde unter ihren Füßen durchscheinen.
    Das Ganze war eine schlaue Idee gewesen – ein kühler Treffpunkt für geschäftliche und städtische Aktivitäten, erfunden von den Bürgern von Spale, Kansas, Einwohnerschaft 956 Männer, Frauen und Kinder im Jahre 1922. Es ist immer noch so kalt wie in einem Grab, dachte Amelia, während sie fröstelnd im Eingang stand, nur leerer. Vorausgesetzt, sie zählte sich selbst nicht mit, was sie in diesem Zusammenhang auch nicht wollte. Die baufälligen Straßen und Gebäude über ihr waren jetzt eine Geisterstadt, da alle ehemaligen Einwohner auf dem Friedhof lagen oder an andere Orte geflohen waren.
    Im Laufe von fünfundsiebzig Jahren hatte sich in Spale alles, was von Menschenhand gemacht war, verändert – in der Natur wohl kaum etwas, vermutete Amelia. Sie stellte sich vor, dass die Hitze des Indianersommers an diesem Tag genauso schwer über dem Ort hing wie vor all diesen Jahren. Die Luftfeuchtigkeit war wahrscheinlich ebenso hoch wie eh und je, und die fallenden Blätter waren zweifellos so golden wie früher. Die Menschen

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