Wenn Die Nacht Beginnt
alles auf eine außergewöhnliche junge Frau hin, auf eine großzügige High School, eine Stadt, die vergeben konnte, ein Stipendienkomitee mit Vertrauen und – höchstwahrscheinlich – auf eine wunderbare Familie, die sie unterstützte. Ihr Blick glitt schnell über die Todesanzeige, die die Überlebenden beim Namen nannte.
Mein Gott, dachte sie traurig, was für ein furchtbarer Schlag für sie alle.
Und der Junge? Der Ehemann/Mörder?
Auch ein Schüler der Abschlussklasse, ebenfalls ein Einser-Schüler, dazu ein Star im Football, Basketball und Baseball. Er war fast so außergewöhnlich wie sie und ehrlich noch dazu, indem er sie heiratete. Das heißt, ehrlich mit Ausnahme der entsetzlichen Tatsache, dass er sie tötete. Amelia las, wie die Leiche des Mädchens in einem alten Tunnel unter der Stadt gefunden wurde und wie man herausfand, dass sie erdrosselt und dort abgeladen worden war. Sie las von Thomas' Geständnis, seiner Verurteilung nach der Rechtsprechung zu Zuchthaus und von dem Schock und Kummer der Stadt über das Schicksal dieser jungen Leute.
Er sagte nur, dass er es getan hatte, aber nie, warum, so konnte sie lesen.
Sie bemerkte, dass Spale eine der Geisterstädte war, die auf ihrer Karte rot eingekreist waren, was bedeutete, dass sich die Stadt in der Zeit zwischen dem Mord und den heutigen Tag geleert hatte.
Dann wandte sie sich noch einem Ausschnitt zu und sah zu ihrem Bedauern, dass dies die Geschichte war, nach der sie suchte, und dass sie ihr würde nachgehen müssen. Der letzte Zeitungsausschnitt, der aktuellste, berichtete, dass Thomas Rogers seine Strafe für den Mord an seiner Frau Brenda abgesessen hatte und aus dem Gefängnis entlassen würde – diese Woche. Er habe geäußert, dass er nach Spale heimkommen würde, um dort zu leben, ›weil dort niemand mehr übrig ist, der mich hassen könnte‹.
Amelia wusste, was sie jetzt zu tun hatte: Sie musste Dan Hale in New York anrufen und seine Zustimmung bekommen. Er würde sie anweisen, den freigelassenen Mörder, der jetzt allein in seiner Geisterstadt wäre, aufzuspüren und ihn zu interviewen. Sagen Sie mir, Tom, wie fühlt man sich, wenn man an den Tatort zurückkommt? Haben Sie sie geliebt? Warum haben Sie sie getötet? Unsere Millionen von Abonnenten wollen es wissen! Amelia war nervös und fühlte sich schlecht bei dem Gedanken an das, was sie würde tun müssen: die noch lebenden Familienangehörigen des Mädchens aufspüren, ihre Schulfreunde, einige Lehrer, und sie dazu bringen, eine grauenhafte Episode ihres Lebens noch einmal zu durchleben.
Ich will nicht, dachte Amelia, aber ihr praktisches Hirn fragte nach: Möchtest du lieber arbeitslos sein? Nein, das wollte sie auch nicht. Sie würde es tun. Vielleicht würde es nicht so schlimm werden, vielleicht bauschte sie ja die Sache nur auf, und vielleicht würde Dan die Idee der Geschichte nicht einmal gefallen. Dieser Gedanke heiterte sie ein wenig auf, und sie lächelte in sich hinein.
Die Haustür öffnete sich, und mit dem Luftzug kam ein großer Mann herein.
»Finden Sie Mord immer amüsant?«
»Was? Nein, ich …«
»Das ist mein Schreibtisch, den Sie da …«
»Ich las gerade all Ihre …«
»Ja. Wollen Sie hier ein Zimmer nehmen?«
Sie war versucht, zu sagen: »Nie und nimmer«, und hinauszustampfen. Aber als sie sich bemühte, die Situation objektiv zu sehen, wurde ihr klar, dass der erste Anblick, den er von ihr bekommen hatte, jeden geärgert hätte. Ihre Stimme wurde weicher, und sie meinte: »Es tut mir Leid. Ich habe mir alle Ihre Fotos und Erinnerungen angesehen, und das führte mich durch das ganze Zimmer bis hierher. Als Sie hereinkamen, dachte ich gerade an etwas anderes, nicht an den Mord an diesem armen Kind. Ja, mein Name ist Amelia Blaney, und ich glaube, für mich wurde ein Zimmer reserviert.«
Er starrte sie einen Moment lang an, was ihr genug Zeit zu der Feststellung ließ, dass er ein äußerst attraktiver Mann war. Möglicherweise um die Dreißig. Er hatte ein braun gebranntes Gesicht mit wunderbaren dunklen Augen und dichtem, dunkelbraunem Haar, das sich um die Oberkante seines Hemdkragens lockte, und die breiten Schultern eines Mannes, der eine Menge Heuballen umhergeworfen hatte. Er trug angeschmutzte Blue Jeans über Cowboystiefeln, und eine rot-weiß-karierte Wolljacke über einem Arbeitshemd aus Jeansstoff. Seine Erscheinung erfüllte den Raum. Amelia trat hinter dem Schreibtisch hervor und blieb seitlich in gebührendem Abstand
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