Wenn Die Nacht Beginnt
stehen.
»Ich bin derjenige, der sich zu entschuldigen hat«, widersprach er und schüttelte den Kopf. »Keine Ausreden. Jim Kopecki. Willkommen in unserem Zoo. Ich bin hier der Oberesel.«
Sie grinsten beide, und plötzlich war die Spannung zwischen ihnen wie weggewischt.
»Doktor Kopecki?«, erkundigte sie sich.
»Ja. Die Einheimischen nennen mich hinter meinem Rücken Dr. Doolittle.«
»Das glaube ich Ihnen aufs Wort. Wie sind Sie denn in dieses Reich der Wildnis geraten?«
»Ich war schon immer hier«, erzählte er entspannt. »Ich habe die Farm geerbt – und die Tiere auch, mehr oder weniger. Zuerst waren es ein paar Lamas vom Hof eines ansässigen Ranchers. Sonst wollte sie niemand, man konnte damals kein Geld mit ihnen verdienen.«
Sein Ton war sarkastisch. Amelia war etwas bestürzt darüber, dass sie sich nicht nur von der Geschichte angezogen fühlte, sondern auch von dem Mann. »Dann kam ein Paar verlassener Strauße von einer Wildtiershow dazu, und dann begannen die Leute, mir verwaiste Maultierhirsche und Ähnliches zu bringen. Schließlich las ich etwas über eine schlecht behandelte Giraffe, und ich fuhr hin und holte sie mir.« Der junge Tierarzt grinste. »Das hätten Sie sehen sollen, wie ich über die Landstraße fuhr mit einem achtzehnrädrigen Lastwagen, in dessen Dach ich ein Loch geschnitten hatte, aus dem eine halbwüchsige Giraffe ragte.«
Amelia lachte. Die Geschichte entzückte sie, und Jim Kopeckis offensichtlich liebevollen Gefühle für Tiere gefielen ihr.
»Und von dem Augenblick an«, schloss er, »liefen die Dinge einfach völlig aus dem Ruder.« Er machte ein gespielt reuevolles Gesicht und lachte mit ihr. »Ich dachte mir, dass eine Menge wilder Arten jetzt in diesem Land geboren werden, und irgendjemand muss sich ja um sie kümmern. Als Kind träumte ich davon, mein eigenes Känguru zu haben – also gehört das vielleicht in die Kategorie der Warnung: ›Pass auf, was du dir wünschst‹.«
»Ich beneide Sie«, brach es aus Amelia hervor. »Ich wünschte mir immer einen eigenen Elefanten.«
Er schüttelte den Kopf mit ehrlichem Bedauern. »Tut mir Leid, Elefanten habe ich noch keinen. Sie würden mich nicht beneiden, wenn Sie mich sähen, wie ich bei Eiseskälte und mitten in der Nacht versuche, ein Kalb aus einem Wasserbüffel zu ziehen.«
Doch, ich würde Sie beneiden, dachte Amelia.
Er neigte seinen gut aussehenden Kopf zur Seite und sah sie an, und sie konnte leicht das Interesse aus seinen schönen, dunklen Augen herauslesen. »Und was machen Sie?«
»Ich bin Journalistin«, erwiderte sie und fühlte sich wie eine Hochstaplerin, als sie es aussprach. »Für das American Times Magazin …«
Später kam sie zu dem Schluss, dass sie noch niemals ein menschliches Gesicht gesehen hatte, das sich so schnell verschloss. Aller Humor und alle Wärme wichen aus seinen Zügen. Ganz kurz zeigte sich Schock, dann Enttäuschung. Schließlich wurde er wieder der Mann mit dem kalten Blick, der vorhin die Tür geöffnet und sie dabei erwischt hatte, wie sie bei den Mordartikeln lächelte.
Er sah auf seinen Schreibtisch hinunter und fragte kurz angebunden: »Möchten Sie das Giraffen-Zimmer, die Zebra-Suite, das Känguru-Einzelzimmer, das Elch-Doppelzimmer, das …«
Von der Veränderung in seinem Verhalten überrascht, gelang es ihr gerade noch, zu erwidern: »Ein einfaches Zimmer reicht mir«, aber eigentlich hätte sie ihn fragen wollen: Was habe ich gesagt? Was ist passiert? Was ist los?
Sie öffnete tatsächlich den Mund, um genau diese Fragen zu stellen, aber sie kam nur bis »Was …«, als er sie rücksichtslos unterbrach.
»Sie bekommen zu ihrem Zimmer ein volles Frühstück und eine Führung.«
Er schob ihr ein Anmeldeformular hin, und als sie mit dem Ausfüllen fertig war, legte er es auf die Seite, ohne es eines Blickes zu würdigen, und griff sich einen Schlüssel aus einer Schachtel auf dem Tisch. »Ich trage Ihr Gepäck.«
»Das müssen Sie nicht …«
»Das gehört zu meiner Arbeit.«
Ohne ein weiteres Wort trug er ihr Gepäck in eines der Motelzimmer, während Amelia ihm folgte. Aber als er die Tür aufschloss und sie eintreten ließ, brach Amelia hörbar in Überraschung und Entzücken aus. Direkt auf die Wände waren wunderbar nachempfundene Giraffen gemalt, das Himmelbett besaß ein Strohdach, es gab eine schöne Bettdecke mit Giraffendruck sowie einen Grasteppich und viele Gegenstände, die aussahen, als ob sie direkt aus Afrika kämen. Es war
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