Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Wenn Die Nacht Beginnt

Wenn Die Nacht Beginnt

Titel: Wenn Die Nacht Beginnt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: authors_sort
Vom Netzwerk:
wir sie heutzutage nennen. Rockmusik dröhnte aus der offenen Tür, drinnen blitzten Lichter, und die Menge war nervös, nicht vergnügt. Es gab Rufe und einige Pfiffe von den Leuten auf der Straße, und alles bewegte sich schnell, mit einer nervösen Energie.
    Zwei junge Männer lagen mit dem Gesicht nach unten auf dem Gehweg und bekamen gerade Handschellen angelegt, und Lynn sprach laut mit einem anderen Mann mit ausgebeulten Hosen um seine Hüften und einem weiten Sweatshirt. An den Seiten war sein Haar orange gefärbt, und er hatte einen Zierstecker durch seine Nase.
    »Ich sag Ihnen doch nur, dass Sie meine Jungs hart behandeln«, beschwerte er sich, und Lynn gab ihm sofort zurück: »Und ich sage dir, Freundchen, wenn du dich nicht verziehst, dann kannst du ihnen heute Nacht im Knast Gesellschaft leisten.«
    Ein Polizist, der auf dem Boden neben den beiden Männern kniete, rief: »Lynn! Hast du ein übriges Paar Handschellen?«
    Als Lynn sich umwandte und begann, an ihrem Gürtel zu zerren, griff der junge Mann mit dem orangefarbenen Haar mit beiden Händen unter sein Hemd. Ich war jetzt hinter ihm und beobachtete, wohin er schaute und was er tat, und als ich beschloss, ihn mit einem schnellen Tritt in die Kniekehlen und einem Faustschlag in den Hals zur Strecke zu bringen, kamen seine beiden Hände wieder unter seinem Hemd hervor – leer. Ich beherrschte mich keuchend und zitternd.
    Der junge Mann drehte sich nur einen Moment um und sah mich an, und dann ging er weg und verschwand in der Menge, mit einem letzten Blick in meine Richtung, bevor er aus meinem Gesichtsfeld verschwunden war. Sein Gesichtsausdruck war der eines Lamms, das sieht, wie ein hungriger Wolf es mustert und dann gehen lässt.
    Ich fröstelte. Es war nahe dran gewesen, und irgendwie, weit hinten in seinem Bewusstsein, wusste auch er, dass er um Haaresbreite davongekommen war.
    In ein paar Minuten waren die Kerle vom Boden auf den Rücksitz des Streifenwagens verfrachtet worden, und da die Show vorbei war, begann die Menge, sich zu zerstreuen, und die Leute gingen entweder ihres Weges oder zurück in die Bar. Ich ging zu unserem Streifenwagen, und Lynn folgte mir. Sie wischte sich mit einer Serviette die Stirn ab und ließ dann eine Reihe Kraftausdrücke vom Stapel, als sie sah, was der verschüttete Kaffee auf dem Sitz angerichtet hatte.
    »Das war vielleicht ein Einsatz«, meinte ich.
    »Ach, das war typisch, besonders, wenn man bedenkt, wie viel Alkohol an einem Wochenende wie diesem konsumiert wird«, erklärte sie. »Weißt du, ich gehöre nicht zu den Prohibitionisten, aber wenn die solche Leute sehen würden, und wie viele Leben Tag ein, Tag aus durch netten, legalen Alkohol zerstört werden, dann würden sie staunen. Ich würde sagen, etwa zwei Drittel der Leute, die heute Nacht festgenommen wurden, sind betrunken. Und dabei sind die Autounfälle, die Wasserleichen und die häuslichen Streitereien, die durch Alkohol verursacht werden, noch nicht mit eingerechnet.«
    »Ich glaube, der Typ mit dem orangefarbenen Haar war ziemlich voll«, sagte ich.
    »Das Übliche«, meinte sie. »Er hat mehr versprochen, als er halten konnte.«
    »Ich weiß nicht, ob du es mitbekommen hast, Lynn-Lynn, aber ich war drauf und dran, ihm eine Abreibung zu verpassen«, sagte ich. »Als du ihm den Rücken zudrehtest, steckte er die Hände unters Hemd, und ich glaubte, er würde nach einem Messer oder so greifen. Dann zeigte er wieder seine Hände – etwa drei Sekunden, bevor er ein paar ernsthafte Probleme bekommen hätte.«
    Inzwischen fuhren wir auf Route I zurück mit etwa hundert Stundenkilometer weniger als zuvor, und ich sah, wie sich Lynn anspannte. Einige lange Sekunden fuhren wir schweigend dahin, dann sagte sie: »Tu das nie wieder.«
    »Lynn, das war reiner Reflex, ich dachte, er würde …«
    »Nicht das, du Idiot«, unterbrach sie mich. »Nenne mich nie wieder Lynn-Lynn. Das Recht dazu hast du schon längst verloren. Vor langer Zeit schon.«
    Erst wusste ich nicht, was ich sagen sollte, und dann meinte ich: »Lynn, das ist nur ein Spitzname. Du hast mich immer Jay-Jay genannt, und ich habe …«
    Ihre Lippen waren zusammengekniffen. »Klar, ich weiß. Jay-Jay und Lynn-Lynn. Der große Bruder und die kleine Schwester. Sehr süß, sehr nett. Nur hast du die Regeln für Bruder und Schwester vergessen.«
    »Was für Regeln?«
    Mit feurigen Augen funkelte sie mich an. »Zum Teufel, die Regeln, die besagen, dass Brüder und Schwestern

Weitere Kostenlose Bücher