Wenn die Nacht dich kuesst...
gekommen? Hat die Kutsche noch auf dich gewartet?«
»Lord Trevelyan hat mich in seiner Kutsche heimbringen lassen.«
Er hatte sie mit nicht mehr als einem knappen Befehl für den Kutscher in das luxuriöse Gefährt gesteckt und dem Fahrer aufgetragen, sie vor der Tür ihrer Tante abzusetzen. Genau vor der Tür.
»Er hat dich nicht begleitet?«
Caroline schüttelte den Kopf, dankbar, dass sie nicht die geschlossene Kutsche mit ihm hatte teilen müssen. »Ich bezweifele, dass er auch nur eine Minute länger in meiner Gesellschaft verbringen wollte, nachdem ich mich derart lächerlich gemacht hatte.«
Portia lauschte gebannt, während Caroline ihr von den beiden jungen Tunichtguten, die sie belästigt hatten, und der Rettung durch den Viscount erzählte.
Als sie fertig war, lehnte sich Portia gegen das Fußende und seufzte verwundert. »Wie merkwürdig. Ich frage mich, warum ein Vampir seinen Abend in Vauxhall Gardens verbringen sollte, um junge Mädchen zu retten.«
»Wenn es nicht so völlig unmöglich wäre, wäre ich beinahe geneigt zu glauben, dass er wirklich ein Vampir ist. Du hättest sehen sollen, wie er mit den beiden Rüpeln umgesprungen ist. Ich habe einen Mann sich noch nie so schnell bewegen oder über solche Kraft verfügen sehen.« Caroline schüttelte den Kopf, erschauerte bei der Erinnerung. »Das hatte beinahe etwas ... Übernatürliches.«
Portia betrachtete ihr Gesicht einen Moment, ehe sie leise fragte: »Und sein Kuss? Hatte der auch etwas Übernatürliches ?«
Caroline neigte den Kopf, verfluchte ihren hellen Teint.
»Da habe ich keinen Vergleich«, log sie steif und spürte, wie ihr die Röte in die Wangen stieg. »Ich bin sicher, es war ein vollkommen gewöhnlicher Kuss.«
Ein vollkommen gewöhnlicher Kuss, der sie vor Verlangen schwindelig gemacht hatte. Ein vollkommen gewöhnlicher Kuss, der sie mitsamt ihrer Zweifel hatte dahinschmelzen lassen und jeden vernünftigen Gedanken aus ihrem Kopf vertrieben hatte, den eingeschlossen, dass der Mann, der sie küsste, ihrer Schwester gehörte.
Sie hielt Portias wissenden Blick nicht länger aus. Caroline glitt unter die Decke und drehte sich zur Wand. »Warum gehst du nicht in dein eigenes Bett und lässt mich in Ruhe, damit ich zu meinen vollkommen gewöhnlichen Träumen zurückkehren kann?«
Die Glocken schlugen Mitternacht.
Sie stand mit den Füßen wie festgewachsen auf den Pflastersteinen, als er aus dem Nebel zu ihr kam, sein Haar schimmerte im Mondlicht, sein langer Umhang wehte um seine Knöchel. Sie wusste, er kam ihretwegen, doch sie konnte keinen Schrei über ihre gelähmten Lippen zwingen, konnte keinen Muskel bewegen.
Das Mondlicht verschwand, ließ sie verloren in seinem Schatten stehen. Er zog sie in seine Arme, seine Sanftheit so unwiderstehlich wie seine Kraft.
Seine Zähne glänzten, als er seinen Kopf senkte. Zu spät erkannte sie, dass nicht ihre Lippen sein Ziel waren, sondern ihr Hals. Trotzdem konnte sie nicht anders, als den Kopf zur Seite zu neigen, ihn einzuladen — nein, ihn darum anzuflehen —, sie zu nehmen, seinen Durst an ihr zu stillen, ihren Lebenssaft zu trinken, der unter der zarten Seide ihrer Haut pulste.
Er bot ihr an, was sie wollte, was sie immer schon insgeheim ersehnt hatte.
Sich ergeben.
Als seine Zähne diesen dünnen Schleier durchstachen, sandte das eine Welle unseliger Ekstase durch sie. Die Glocken klangen weiter, kündeten von der Ankunft einer ewigen Mitternacht, in der sie immer ihm gehören würde.
Caroline fuhr aus dem Schlaf auf, setzte sich im Bett aufrecht, kämpfte gegen die Klammer um ihren Hals. Sie brauchte einen entsetzlichen Augenblick, bis sie begriff, dass es ihre eigene Hand war. Ihr Herz klopfte wie verrückt unter ihren Fingerspitzen. Langsam ließ sie die Hand sinken und schaute auf ihre zitternden Fingerspitzen, als gehörten sie einer anderen.
Noch erschreckender als ihr Entsetzen war die unerklärliche Hitze, die vom Rest ihres Körpers Besitz ergriffen zu haben schien. Ihr Mund war trocken, ihre Haut prickelte, und ihr Busen schmerzte leicht. Zwischen ihren Beinen war ein merkwürdiges Ziehen, mehr Lust als Schmerz.
Sie schaute sich in dem Zimmer um und versuchte, die Benommenheit des Traumes abzuschütteln. Portias schmales Bett war leer, und die Dachkammer lag im Dämmerlicht, sodass unmöglich zu sagen war, welche Tageszeit es war. Carolines unruhiger Schlaf war immer wieder von Bruchstücken anderer Träume gestört worden, in denen sie auf düsteren
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