Wenn die Nacht dich kuesst...
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»Die Dienerschaft im Haus hat gewiss weitergeschlafen«, versicherte ihr Kane, und sein Blick ruhte nicht auf ihrer Brust, sondern auf ihrem anmutig geschwungenen Hals. »Schließlich müssten sie hier solche Geräusche gewohnt sein — markerschütternde Schreie, Flehen um Gnade und das gequälte Stöhnen der Gefolterten.«
Er tat es schon wieder. Machte sich über sie beide lustig mit nicht mehr als dem Hochziehen einer hellbraunen Augenbraue.
Caroline konterte mit einem kühlen Lächeln. »Das überrascht mich nicht. Ich hatte angenommen, so ein schöner Besitz müsse einfach einen funktionstüchtigen Kerker aufzuweisen haben.«
»Ganz sicher. Dort halte ich all die vermissten Jungfrauen aus dem Dorf gefangen. Vielleicht können wir eine Besichtigungstour ansetzen, ehe Sie wieder abreisen.«
»Das wäre reizend.«
Er lehnte sich gegen die Brüstung. »Ich fürchte, ich habe meine Pflichten als Gastgeber schrecklich vernachlässigt. Hoffentlich können Sie mir verzeihen, dass ich nicht hier war, um Sie und Ihre Schwestern bei Ihrer Ankunft zu begrüßen.«
»Wilbury hat uns davon unterrichtet, dass Sie ausgegangen seien.« Ihr Blick wanderte zu seiner Brust, wo sein feuchtes Hemd an den beeindruckenden Muskeln und Sehnen klebte. Bei dem Anblick fühlte sie sich merkwürdig leicht. Sie fasste sich mit einer Hand an die Stirn. Vielleicht war ihr von ihrem Beinahe-Sturz vom Balkon noch schwindelig. »Es muss in der Tat ein sehr dringendes Anliegen gewesen sein, das Ihre Aufmerksamkeit in einer so schlimmen Nacht erforderte.«
»Ganz im Gegenteil. Ich fand den Sturm wesentlich weniger beängstigend, als in einem überfüllten Ballsaal oder verrauchten Theater zu stecken. Ich stelle mich viel lieber den Elementen als den nimmermüden Zungen der Klatschbasen in der Gesellschaft. Aber es tut mir Leid, dass ich nicht da war, Sie willkommen zu heißen.«
Sich der Tatsache nur zu bewusst, dass er ihrer unausgesprochenen Frage geschickt ausgewichen war, deutete sie auf die französischen Türen, die immer noch offen standen und ihnen einen Blick auf ihr mondbeschienenes Bett mit den zerwühlten Laken gewährten. »Ich kann Sie kaum für die Vernachlässigung Ihrer Gastgeberpflichten zurechtweisen, wenn Sie mich so luxuriös untergebracht haben.«
Er schnaubte, und seine Kiefermuskeln arbeiteten. »Luxuriöser als Ihre Tante, ohne Zweifel. Ich bin überrascht, dass Sie sie nicht im Kohlenkeller einquartiert hat.«
Caroline runzelte die Stirn. »Woher wissen ...« Doch dann erinnerte sie sich wieder daran, wie er im Regen auf den Eingangsstufen zum Haus ihrer Tante gewartet und zu ihrem staubigen Dachkammerfenster hochgeschaut hatte. Sie musste eine Sekunde zu spät hinter die Vorhänge getreten sein.
Unerklärlicherweise verlegen, dass er genau wusste, wie wenig Achtung ihre Tante für sie empfand, hob sie das Kinn. »Als Ihr Ehrengast hätte Vivienne ihr eigenes Zimmer erhalten sollen. Portia und ich sind es gewöhnt, uns einen Raum zu teilen.«
»Ich dachte, Ihnen würde dieses Arrangement zusagen. Schließlich kann man mir kaum nachsagen, ich hätte versucht, in das Schlafzimmer Ihrer Schwester zu schleichen und ihr die Tugend zu rauben, solange Portia Wache hält, nicht wahr?«
Wer aber wacht über meine Tugend?
Caroline wagte es nicht, ihm diese Frage zu stellen.
Nicht, wenn sie so nachdrücklich erklärt hatte, sie sei über das Alter hinaus, in dem sie glaubte, jeder Mann, der ihr begegnete, wolle sie verführen oder schänden. Selbst einer, der mitten in der Nacht vor der offenen Tür ihres Schlafzimmers auftauchte, halb bekleidet, und nach Wind, Regen und einer unwiderstehlichen Mischung aus Lorbeer und Tabak roch.
»Ich fürchte, Portia hat mehr etwas von einem Terrier als einer Dogge«, sagte sie.
Er tat so, als erschauerte er. »Dann halte ich sie für eine noch furchtbarere Gegnerin. Ich würde wesentlich lieber von einer Dogge angefallen, als einen kläffenden Terrier an meinem Bein hängen zu haben.«
Caroline musste wider Willen über diese passende Beschreibung ihrer kleinen Schwester lächeln. »Gewöhnlich reicht es, ihr mit der Morgenpost einen Klaps zu geben.«
»Das werde ich mir merken.« Er legte den Kopf schief, warf ihr einen seiner durchdringenden Blicke zu, die sie gleichermaßen zu ersehnen und zu scheuen begann. »Also, sagen Sie, Miss Cabot, was halten Sie von meinem bescheidenen Heim? Gefällt es Ihnen?«
Sie zögerte. »Ihre Gästezimmer sind sehr schön, Mylord, aber
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