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Wenn die Nacht in Scherben fällt (German Edition)

Wenn die Nacht in Scherben fällt (German Edition)

Titel: Wenn die Nacht in Scherben fällt (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anika Beer
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war, in die er da geraten war. Diese Familienzusammenkunft im Dunkeln.
    »Schule ist gut gelaufen«, sagte er vorsichtig. »Ich habe eine Eins im Physiktest von letzter Woche.«
    Eine furchtbar schlechte Lüge. Niemand würde sich so lange über eine gute Note freuen. Aber etwas Besseres fiel ihm auf die Schnelle nicht ein.
    Kurzes Schweigen antwortete ihm. Allmählich gewöhnten sich Jaris Augen an die Lichtverhältnisse, und er erkannte– wenig überraschend– das Misstrauen auf den Zügen seines Vaters. Einmal mehr wurde ihm bewusst, wie wenig dieses aufgedunsene, verkniffene Gesicht noch dem Mann ähnelte, an den er sich aus seiner Kindheit erinnerte. Diese kleinen, funkelnden Augen. Der grobe Zug um den schmalen Mund.
    Sein Vater wies mit einer knappen Bewegung auf das Sofa. Dorthin, wo die Füße von Jaris Mutter lagen. Bewegungslos, seit er den Raum betreten hatte. »Setz dich zu uns, Sohn.«
    Jari fragte sich unwillkürlich, ob seine Mutter wohl wirklich schlief oder ob sie nur so tat. Nicht dass es irgendetwas geändert hätte, aber Jari wäre es lieber gewesen, sie würde tatsächlich schlafen und von dieser Katastrophe nichts mitbekommen.
    Langsam trat er näher, den Teller mit dem Salamibrot noch in der Hand. Es war wirklich sehr groß, dieses Brot, und er war verschwenderisch mit der Wurst und der Margarine umgegangen. Vermutlich keine gute Verhandlungsbasis. Blieb nur zu hoffen, dass sein Vater das im schwachen Licht nicht so genau ausmachen konnte.
    Jari biss die Zähne zusammen, setzte sich aber trotzdem zu den Füßen seiner Mutter auf die Sofakante, stellte den Teller auf seine Knie und aß, ohne seinen Vater anzusehen. Dennoch spürte er dessen Blick bei jedem Bissen, und er wartete Sekunde für Sekunde auf das Gewitter, das unweigerlich über ihn hereinbrechen musste.
    Aber es kam nicht. Noch nicht.
    Allerdings hatte Jari auch nicht vor, allzu lange darauf zu warten, schließlich war er weder dumm noch lebensmüde. Er hatte seine Schuldigkeit in diesem grotesken Heile-Familie-Spiel wohl mehr als erfüllt, was auch immer es bezwecken sollte. Also stand er auf, kaum dass er das letzte Stück Brot heruntergeschluckt hatte. »Also, ich gehe dann schlafen.«
    Die Stimme seines Vaters war nun noch leiser als vorher. »Schon? Willst du mir nicht noch erzählen, wo du so lange gewesen bist?« Die Warnung in seinen Augen war unmissverständlich.
    Jaris Kehle wurde trocken. »In der Stadt, mit ein paar Leuten. Für ein Schulprojekt.« Diese Lüge war viel besser als die vorherige. Obwohl das natürlich gar nichts half.
    Sein Vater bleckte die Zähne zu einem lautlosen Knurren, das sich nur schlecht als Lächeln zu tarnen versuchte.
    »Ein Schulprojekt. Aber natürlich.« Er stand ebenfalls auf. Schon vorher hätte Jari auf dem Weg zur Wohnzimmertür an ihm vorbeigemusst. Jetzt versperrte er mit seiner massigen Gestalt endgültig den Weg.
    »Elender Rumtreiber.« Seine Stimme war immer noch ganz ruhig. Viel zu ruhig.
    Vielleicht, dachte Jari, hätte er allmählich Angst haben sollen. Sein Vater war ein Berg von einem Mann. Er hatte ihn gestern so hart geschlagen, dass Jari vermutlich den Rest der Woche Schmerzen haben würde. Der riesige Bluterguss drückte und stach bei jeder unbedachten Bewegung. Und es war nicht unwahrscheinlich, dass das, was nun folgte, noch viel schlimmer werden würde.
    Aber Jari hatte keine Angst. Stattdessen spürte er, wie etwas ganz anderes in ihm aufkeimte. Etwas viel Gefährlicheres.
    Wut.
    Das war nicht gut. Gar nicht gut. Die Ahnung von etwas Schrecklichem hing in der Luft und legte sich bitter auf Jaris Zunge.
    »Na und? Ich bin nicht dein Hund«, hörte er sich selbst sagen und machte einen Schritt nach vorn, versuchte, einfach an seinem Vater vorbeizugehen. Wenn er jetzt floh, konnte er die Situation vielleicht im letzten Augenblick retten.
    Aber er kam niemals über den ersten Schritt hinaus.
    Sein Vater packte ihn an der Schulter, kaum dass er auch nur in seine Reichweite kam. Sein grober Griff jagte einen stechenden Schmerz durch Jaris Brust, dort wo der tiefschwarze Bluterguss war. Die Wut flackerte hell auf, und Jaris Körper reagierte, noch ehe er recht wusste, was er tat. Er schlug die Hand weg, bevor sie fester zugreifen konnte, und spürte, wie sich sein Gesicht zu einer zornigen Grimasse verzerrte.
    »Fass mich nicht an, kapiert?!«
    Er erschrak selbst darüber, wie laut seine Stimme aus seiner Kehle hervorbrach und wie aggressiv sie klang, während in den Augen

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