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Wenn die Nacht in Scherben fällt (German Edition)

Wenn die Nacht in Scherben fällt (German Edition)

Titel: Wenn die Nacht in Scherben fällt (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anika Beer
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ihr Name in den aufgeregten, halblaut geführten Gesprächen fiel. Als wäre es ihr Verdienst, dass Jari sich mit seiner verrückten Aktion spontan zum Helden des Kurses gemacht hatte. Nele persönlich allerdings war sich überhaupt nicht sicher, ob das ein Ruf war, den sie nach nur fünf Tagen an dieser neuen Schule haben wollte. Zu Unrecht noch dazu.
    Der Text, den Herr Köster ihnen zu lesen aufgetragen hatte, interessierte natürlich niemanden. Außer vielleicht die beiden Jungs, die Jari und Nele von ihren Plätzen verdrängt hatten. Einer von ihnen schrieb auch tatsächlich die geforderte Hausaufgabe an die Tafel, was Nele wirklich ärgerte. Wenn dieser Typ doch so gut in Chemie war, warum hatte er sich dann nicht schon längst ab und an gemeldet, um den Druck von Jari zu nehmen? Dann wäre es heute vielleicht gar nicht erst so weit gekommen.
    Irgendwann kehrte Herr Köster zurück, leidlich beherrscht und ohne Jari. Er brachte es sogar fertig, seinen Unterricht für den Rest der Doppelstunde mit der üblichen Leichenbittermiene durchzuziehen, als wäre überhaupt nichts vorgefallen. Doch wann immer er nun in Neles Richtung sah, erkannte sie nur zu genau, dass er die allgemeine Ansicht über die Schuldfrage in diesem Fall teilte: Das neue, schrillbunte Punkmädchen war die Wurzel allen Übels.
    Und er hasste sie.
    Nele war wohl selten so erleichtert gewesen wie in dem Moment, als es endlich zur Frühstückspause läutete. Ein bisschen unschlüssig blieb sie noch einen Augenblick stehen. Jari war bis zum Schluss der Stunde nicht vom Rektor zurückgekehrt, und seine Tasche und seine Jacke hingen noch über seinem Stuhl. Sollte Nele sie mitnehmen und hoffen, ihn zu finden? Oder sollte sie die Sachen hier für ihn hängen lassen?
    Schließlich entschied sie, optimistisch zu sein und davon auszugehen, dass Jari sich schon würde denken können, dass sie seine Klamotten mitgenommen hatte, wenn er sie hier nicht mehr vorfand. Nele schulterte also die Tasche und klemmte sich die Jacke unter den Arm. Dann huschte sie im Schutz eines Pulks aus etlichen schwatzenden Schülern an Herrn Köster vorbei aus dem Raum, ehe er noch auf die Idee kommen konnte, ein ernstes Wörtchen mit ihr zu reden.
    Auf dem Hof stellte sie allerdings sehr schnell fest, dass alle Sorgen, Jari vielleicht nicht zu finden, unnötig gewesen waren. Sie war kaum aus dem naturwissenschaftlichen Trakt heraus, als sie ihn auch schon entdeckte. Er lag lang ausgestreckt auf einer der Bänke unter den Ulmen nahe der Schulhofmauer, den Kopf auf einen angewinkelten Arm gelegt, und ließ mit geschlossenen Augen sein Gesicht von der Frühlingssonne bescheinen– scheinbar vollkommen unbeeindruckt von den schrägen oder neugierigen Blicken, die vorbeischlendernde Mitschüler ihm zuwarfen. Und zudem ohne jede Angst vor Herrn Köster, der jeden Augenblick hier vorbeikommen konnte. Seine andere Hand baumelte über die Kante der Sitzfläche, die Fingerspitzen streiften das welke Laub unter der Bank. Als Nele zögernd näher trat, hob er blinzelnd die Lider und sah zu ihr hoch.
    »Nele.« Ein Lächeln erschien in seinen Mundwinkeln, als habe er hier nur auf sie gewartet. Er setzte sich auf, gähnte und streckte sich. »Hast du es auch überstanden?«
    »Ich hab dir deinen Kram mitgebracht.« Nele legte seine Jacke und die Tasche neben ihn auf die Bank und verschränkte die Arme vor der Brust. Sie fühlte sich ein wenig unbehaglich, als säße dort ein Fremder vor ihr. Wobei sie Jari eigentlich ja wirklich noch nicht besonders gut kannte. Trotzdem, er war anders als vor seinem rätselhaften Verschwinden vor zwei Tagen, daran gab es für Nele nichts zu rütteln. Sie war doch nicht blöd.
    »Wie war’s beim Rektor?«, fragte sie schließlich, weil sie nicht wusste, was sie sonst sagen sollte.
    Jari griff nach seiner Tasche, schulterte sie und stand auf. Dann streckte er sich noch einmal ausgiebig. »Ach«, sagte er und zuckte die Achseln. »Ziemlich entspannt eigentlich. Ich glaube, der kann den Köster auch nicht leiden. Er hat mich sehr nett verwarnt.«
    Nele schüttelte ergeben den Kopf und folgte ihm, als er mit gemächlichen Schritten den Weg in Richtung des belebteren Teils des Schulhofs nahe dem Hauptgebäude ansteuerte. Sie kam da einfach nicht mehr mit.
    »Also dann«, sagte Jari und warf sich die Jacke über die Schulter, als wäre die Luft zwanzig Grad warm und nicht nur gefühlte zwölf. »Ich verschwinde jetzt.«
    Nele runzelte die Stirn und blieb stehen.

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