Wenn die Nacht in Scherben fällt (German Edition)
könnte ich mich gewöhnen.‹
Tora starrte ihn fassungslos an. Sie musste nicht einmal darüber nachdenken, ob er das alles wirklich ernst meinte. Natürlich meinte er es ernst. Seine letzten Worte waren wie Öl in dem Feuer der Wut, das in ihr loderte, und jagten ihr zugleich eisige Schauer über den Rücken. Sie musste hier weg, sofort. Sie musste Fae berichten und sie überzeugen, auch Tora nach dem Träumer suchen zu lassen – zumindest, solange Seth schlief. Nach allem, was sie gehört hatte, war jedes Paar Augen entscheidend, zumal Seth zumindest in einem recht hatte: Toras besondere Fähigkeiten als Jägerin waren bei der Suche zielführender eingesetzt als hier. Und der Junge musste rasch gefunden werden, damit Seth möglichst bald wieder in den Einflussbereich der Göttin gebracht – und dann hoffentlich endgültig verbannt wurde. Ehe es dazu zu spät war.
Zornig wandte Tora sich ab, ohne Seth auch nur noch eines Blickes zu würdigen, und machte sich auf den schnellsten Weg zurück in die Glashalle. Sie hoffte nur, dass Fae sofort Zeit fand, sie anzuhören.
»Nele!«
Jari schreckte aus einem verschwommenen Dämmerzustand auf, irgendwo zwischen Wachen und Schlafen. Es war seine eigene Stimme, erkannte er mit etlichen Sekunden Verzögerung, die ihn aufgerüttelt hatte; seine Stimme, die Neles Namen rief. Und ganz unbestimmt, wie unter einem milchigen Schleier verborgen, ertastete er in seinem Inneren das Gefühl, dass Nele gerade eben noch ganz in seiner Nähe gewesen war.
Jari sprang auf die Füße. »Nele?« Er wandte den Kopf nach links und rechts und lauschte. Nichts. Keine Antwort. Und es fühlte sich auch nicht so an, als wäre noch irgendjemand hier. Aber er hatte sich nicht getäuscht. Da war er sich ganz sicher. Nele war dagewesen. Nur hatte er sie nicht erreichen können, ehe sie wieder verschwand. Oder hatte sie nicht bleiben können? Vielleicht kam sie noch einmal zurück?
Jari schüttelte den Kopf. Dieses ganze Grübeln nützte doch nichts. Um ihn herum war es noch immer dunkel, aber das Innere des Baumes erschien ihm nicht mehr ganz so schwarz wie zuvor. Auch das Kratzen und Zischeln der Kinder war längst verstummt. Trotzdem war er sich nicht sicher, ob es eine gute Idee gewesen wäre, wieder nach draußen zu gehen. Und selbst wenn, wie sollte er das überhaupt anstellen? Es hatte ja auch keinen Eingang gegeben, durch den er hereingekommen war, er hatte es sich einfach gewünscht…
Jari legte den Kopf in den Nacken und streckte vorsichtig die Hände nach oben. Doch über ihm war nichts, seine Finger griffen ins Leere. Und war da oben nicht ein hellerer Schimmer, ganz ähnlich dem grauen Licht des anthrazitfarbenen Himmels? Wenn er irgendwie in die Krone des Baumes gelangen könnte, hätte er von dort sicher einen guten Überblick. Nur wie? Eine Leiter wäre jetzt praktisch. Eine sehr lange Leiter, die bis zum schwachen Licht dort oben führte…
Obwohl er den klingenden Ton nun schon zum dritten Mal hörte, ging er Jari noch immer durch Mark und Bein. Die Welt um ihn zitterte, als würde sie in ihren Grundfesten erschüttert, und im nächsten Moment tropften von oben herab die silbrigen Schlieren, die Jari schon zuvor gesehen hatte, als er auf den Spielplatz gestoßen war. Sie trafen dampfend auf den weichen Untergrund, wanden sich umeinander und dann wieder hoch hinauf– und bildeten vor Jaris staunenden Augen eine Leiter. Eine Leiter, genau wie er es sich gewünscht hatte, bis hinauf in die Krone des Baumes, deren raschelnde Zweige er nun im triefenden Silberlicht erahnen konnte. Dann verblassten die Schlieren und wurden zu Rauch, der sich schließlich auflöste und verschwand, als wäre er niemals da gewesen.
Fassungslos starrte Jari auf die Leiter. Schlicht, geradezu unscheinbar stand sie vor ihm, als gehörte sie genau dorthin; ja als hätte sie schon immer dort gestanden und er hätte sie einfach nur übersehen. Als er die Hand um das raue Holz einer Sprosse schloss, zitterten seine Finger wie unter einem Nachbeben des Klingens, von dem längst nichts mehr zu hören war. Hatten das seine Gedanken ausgelöst? War allein der Wunsch, es gäbe einen Weg hinauf in die Baumkrone, verantwortlich für das, was gerade geschehen war? Eine leise Ahnung, ein schleichendes Begreifen, machte sich in Jari breit. Das war unfassbar– und unheimlich zugleich. War es wirklich möglich, dass er hier, in dieser seltsamen Welt, solche Macht über seine Umgebung hatte?
Aber natürlich. Er war in
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