Wenn die Schatten dich finden: Thriller (German Edition)
kleine Kabäuschen hinter der Speisekammer entdeckte. Wahrscheinlich wusste das Mädchen gar nicht, dass es existierte, aber Mitch hatte ja die ganze Nacht Zeit gehabt, ein gutes Versteck zu suchen. Es war zwar ein bisschen ungemütlich gewesen, sich in das enge Ding zu quetschen, hatte sich aber allemal gelohnt. Allein der Schock in Michaels Augen, bevor Mitch ihn bewusstlos schlug, war jede Mühe wert gewesen. Er hatte soeben eine seiner Lieblingsfantasien ausgelebt.
Bei seinem Magenknurren fiel ihm ein, dass er seit den Spaghetti nichts mehr gegessen hatte. Und da Samara, von wo auch immer, sicher nicht so früh am Morgen zurückkam, ging er in die Küche. Dort begrüßte ihn der Duft von frischem Kaffee, und zum ersten Mal seit Längerem fühlte Mitch sich richtig glücklich. Sein Bruder würde bald kriegen, was er verdiente, eine hübsche junge Frau käme bald nach Hause und würde ihm, Mitch, so lange und wie immer er wollte zur Verfügung stehen – und dazu noch frischer Kaffee! Wer behauptete da, dass Träume nicht wahr werden konnten?
Als er den Kühlschrank öffnete, fand er Bacon, Eier und sogar eine kleine Dose mit fertigem Brötchenteig. Mitch machte sich ans Werk. Er lebte schon lange genug allein, um bestens zurechtzukommen. Selten behielt er eine Frau länger als ein paar Tage bei sich. Und selbst wenn, konnten die meisten von denen kaum Wasser kochen. Frauen taugten nur für ein paar Dinge. Hatte er sie erst einmal flachgelegt und sie konnten nicht kochen, lohnte es sich nicht, sie bei sich zu behalten. Außerdem waren sie, wenn er mit ihnen fertig war, sowieso meistens in einer Verfassung, in der sie kaum noch ihren eigenen Namen sagen konnten – und somit in der Küche vollkommen unbrauchbar.
Einen Teller mit Rührei, krossem Speck und einem fluffigen Brötchen in der einen, einen Becher Kaffee in der anderen Hand, kehrte Mitch ins Wohnzimmer zurück. Er verspeiste sein köstliches Frühstück, betrachtete dabei genüsslich seinen bewusstlosen Bruder und stellte fest, dass es gar nicht mehr besser werden könnte.
Während er sein drittes Brötchen butterte, erinnerte er sich an etwas, an das er seit Jahren nicht mehr gedacht hatte. Seine Mutter hatte ihm früher immer die Brötchen gebuttert, bevor sie sie ihm auf den Teller legte. Eigentlich hatte er gar nichts gegen seine Mutter gehabt. Nein, er hatte sie sogar irgendwie gemocht … bis zu dem Tag, als sie ihn dabei ertappte, wie er eine junge Klapperschlange in die Unterwäscheschublade seines Bruders legte, und ihm einen Klaps auf den Hintern gab.
Das hatte er ihr nie vergeben. Es war doch bloß ein harmloser Streich gewesen. Nicht dass ihm der Klaps wehgetan hätte. Es ging ums Prinzip. Schließlich hatte er seinem Daddy vorher erzählt, was er tun wollte, und sein Daddy hatte gelacht.
An jenem Tag hatte Mitch einen erschütternden Schluss ziehen müssen: Seine Mutter mochte Michael lieber. Und obwohl er damals erst sieben Jahre alt war, hatte er weder den Zwischenfall vergessen noch jemals seiner Mutter verziehen, dass sie seinen blöden Bruder mehr liebte als ihn.
Ein tiefes Stöhnen holte Mitch in die Gegenwart zurück. Sein kleiner Bruder wachte auf.
In der Sekunde, in der Noah seine Augen öffnete, traf ihn seine vertrackte Lage fast mit derselben Wucht wie das Brett, mit dem Mitch ihn niedergeschlagen hatte. Er hatte gründlich versagt! Die Taubheit in seinen Händen und Füßen und auch der Krampf in seinen Schultern sagten ihm, dass er so tief in Schwierigkeiten steckte, dass ihn nicht einmal ein Grubenaufzug wieder nach oben holen könnte.
Wobei ihn das Wissen um seine eigene Blödheit weniger sorgte als die Tatsache, dass Samara den Preis dafür zu zahlen hätte, sollte er sich nicht schnellstens befreien können.
Ein Fuß trat ihm gegen die Schulter. »Los, Michael. Wach auf und lass uns über die alten Zeiten reden.«
»Leck mich.«
»Aber, aber, Bruderherz! Ich bin am Boden zerstört. Es ist immerhin beinahe sechs Monate her, seit wir uns gesehen haben.«
»Ja, und sechzig Jahre wären nicht genug.«
Sein Bruder stieß ein raues Kichern aus, gefolgt von einem lauten Rülpser. »Jap, geht mir nicht anders.«
»Wieso bist du dann hier?«
»Diese Frage musst du mir doch nicht ernsthaft stellen. Du hast mich angeschissen, und das nicht zum ersten Mal. Keiner verarscht Mitchell Stoddard ungestraft.«
»Irgendwie schon erbärmlich von dir, dass du mich wie eine Roulade einwickeln musst, was?«
Mitchs harter Mund und
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