Wenn die Schatten dich finden: Thriller (German Edition)
Haut. An diese Wundmale erinnerte Noah sich noch zu gut aus den Tagen, als sein Vater ihn mit dem Gürtel verdrosch. Und er wusste bis heute, wie der Schmerz sich anfühlte.
Vorsichtig zog er ihr das Hemd aus und wusch ihren Oberkörper. Zwei große Male waren auf der rechten Brust und ein übel aussehendes auf der linken. Er wusch sie weiter, wobei er jeden Schnitt, jeden Kratzer und jede Rötung registrierte. War sie vergewaltigt worden? Er schnupperte … nichts. Er sah auch weder Samenspuren noch Rötungen oder Blutergüsse innen an ihren Schenkeln. Was nicht zwangsläufig bedeutete, dass sie nicht missbraucht worden war. Noah würde warten, bis sie zu sich kam, dann musste er irgendwie mit der Wahrheit umgehen.
Er spülte das blutige T -Shirt aus und war froh, als er zurückkam und feststellte, dass sie diesmal liegen geblieben war. Ob sie bewusstlos war oder unter solchem Schock stand, dass sie nicht sprechen konnte, wusste er nicht. Während er weiter ihre Wunden säuberte, sprach er leise mit ihr. Zumeist redete er Blödsinn, gab beruhigende Laute von sich, doch aus irgendeinem Grund schien Samara tatsächlich ruhiger zu werden – vorausgesetzt, er bildete es sich nicht bloß ein, um sein Gewissen zu entlasten. Noah war klar, dass sie ihm seinen Verrat niemals verzeihen würde, ebenso wenig, wie er sich je vergeben könnte, was sie seinetwegen durchmachen musste.
Er kippte seine Tasche auf dem Bett aus und klappte das Bodenfach auf. Darin befanden sich sowohl eine Erste-Hilfe-Ausrüstung als auch sonstige Dinge, die er brauchen würde. Mitchells Männer hatten die Tasche natürlich durchsucht, waren aber glücklicherweise zu faul gewesen, genauer hinzuschauen. Noah nahm sich Wundsalbe und Verbände und ging zurück zu Samara. Vor Zorn biss er die Zähne fest zusammen, bedeckte ihre Wunden mit Salbe und verband die nässenden Striemen und Schnitte.
Als er bei ihren Füßen anlangte, entfuhren ihm wilde Flüche. Sie waren fast schwarz. Verkrustetes Blut bedeckte mehrere tiefe Schnitte und Schürfwunden. Wahrscheinlich hatte Samara versucht, barfuß zu fliehen. Noah feuchtete ein frisches T -Shirt an. Während er ihr die Füße reinigte, schweiften seine Gedanken zu einem Bild aus der letzten Woche ab: Er war ins Wohnzimmer gekommen und hatte Samara lachend und glücklich am Telefon vorgefunden, wo sie plauderte und sich nebenher die Zehennägel knallrot lackierte. Sanft wischte er ihre Zehen sauber, an deren Nägeln nur noch wenige Reste von Lack hafteten.
Doch solche quälenden Gedanken waren sinnlos, deshalb zwang Noah sich, seine volle Konzentration auf die gegenwärtige Aufgabe zu richten. Er redete weiter sanft auf Samara ein in der Hoffnung, zu ihrem traumatisierten Verstand durchzudringen.
Friede. Sie trieb in einem friedlichen Meer. Warum? War sie gestorben? Nein, wenn sie tot wäre, hätte sie keine Schmerzen. Doch sie spürte Schmerz, der sie in endlosen Wellen durchströmte, anschwellend und wieder abebbend. Trotzdem war etwas anders. Was?
Sollte sie die Augen öffnen? Nein, vielleicht war alles bloß ein Traum. Falls ihr Albtraum im Wachen weiterging, wollte sie es gar nicht wissen. Dieser halbbewusste Zustand des Nichtwissens war um einiges angenehmer.
Eine raspelnde Männerstimme, die Noahs auffallend ähnelte, drang durch den Nebel in ihrem Kopf. Ja, das musste ein Traum sein. Wie oft war Noah schon im Traum zu ihr gekommen, hatte sie getröstet, ihr Mut gemacht! Bei Noah war sie sicher. Nichts und niemand konnte sie verletzen, solange er bei ihr war.
»Mara, Süße, bitte wach auf und zeig mir deine schönen Augen.«
Niemand außer Noah nannte sie Mara. Sie lächelte.
Ein feuchter Lappen benetzte ihren Mund und malte ihr Lächeln nach. »Das ist mein Mädchen. Und nun mach deine hübschen Augen auf.«
Ihre Lider waren bleischwer vor Erschöpfung, als sie zaghaft blinzelte. Sie hatte eine schreckliche Angst, dass es ein Traum war. Doch Noah saß tatsächlich neben ihr. In seinen schwarzen Augen loderten mehr Emotionen denn je. Ein Schluchzen blieb ihr im Hals stecken. »Ich dachte, du wärst tot.«
»Tja, ich dachte dasselbe von dir.«
Tränen kullerten ihr aus den Augenwinkeln und brannten auf ihren wunden Wangen. »Ich hatte solche Angst.«
Das warme, weiche Tuch tupfte ihr die Tränen ab. »Ich weiß, Babe … Gott, es tut mir so leid. Ich wollte nie, dass das geschieht.«
Samara versuchte zu schlucken, aber ihre Zunge war zu geschwollen und zu ausgetrocknet. »Kann ich was zu
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