Wenn die Schatten dich finden: Thriller (German Edition)
erst gebadet und sich umgezogen hatte.
Noah kam zurück und erschreckte sie, indem er sie hochhob. »Ich kann gehen!«
»Du bist noch schwach, und deine Füße sind wund«, entgegnete er, trug sie ins Bad und setzte sie auf den Toilettendeckel. »Brauchst du Hilfe beim Baden?«
Er hatte sie nackt gesehen, als sie miteinander schliefen und auch die vielen Male, die er ihre Wunden versorgte. Folglich hatte Samara nichts mehr zu verbergen, und dennoch wollte sie nicht, dass er ihr half. Vielleicht hatte es mit Kontrolle zu tun. Jedenfalls wollte sie lieber allein sein.
»Es geht schon«, sagte sie und ergänzte auf seinen zweifelnden Blick hin: »Du kannst an der Tür bleiben, und wenn ich dich brauche, rufe ich, okay?«
Zwar nickte er und schloss die Tür hinter sich, doch sie wusste, dass er nicht überzeugt war. Das, mehr als alles andere, machte sie entschlossener. Die letzten paar Tage hatte sie seine Fürsorge nötig gehabt, aber es war an der Zeit, dass sie sich erholte und sammelte. Zeit, Kraft zu zeigen, und, schon bald, zu handeln.
Ohne auf den desolaten Zustand des heruntergekommenen Badezimmers zu achten, zog sie sich aus. Sie mied es tunlichst, ihren Körper anzusehen, als sie ins wohltuende Wasser stieg. Neben der Wanne hatte Noah ihr ein Handtuch, Seife und Shampoo ausgelegt. Samara lehnte sich in der Wanne zurück, schloss die Augen und genoss es, wie die Wärme bis in ihre Knochen strömte. Reinigend, heilend, beruhigend.
Noah schritt vor der Tür auf und ab. Seit einer halben Stunde war sie bereits im Bad. Er hatte mehrmals nach ihr gerufen, um sich zu vergewissern, dass alles in Ordnung war. Das letzte Mal, dass sie es ihm bestätigte, hatte sie es mit einem unverkennbar spitzen Unterton getan. Ihre Gereiztheit hatte ihn unsagbar erleichtert.
In den letzten zwei Tagen war sie jeweils nur für ein paar Minuten zu sich gekommen. Dann hatte er sein Bestes gegeben, ihr Flüssigkeit und Nahrung einzutrichtern. Ihr Appetit war gleich null gewesen, aber mit ein bisschen Überredungskunst hatte er sie bewegen können, zumindest einige kleine Happen zu essen. Dass sie sich allerdings von ihm dazu drängen ließ, war ein klares Indiz für ihre Schwäche und Hilflosigkeit.
Er hoffte, das änderte sich nun. Sie sollte stark sein für das, was vor ihnen lag, denn er musste wissen, was passiert war, was sie durchgemacht hatte. Teils kam er sich egoistisch und böse vor, weil er sie zwang, alles noch einmal zu durchleben, teils sagte er sich, dass es keinen anderen Weg für sie gab. Die Katharsis gehörte zum Heilungsprozess. Und wenngleich dies weder die optimale Zeit noch der richtige Rahmen für ein reinigendes Gespräch war, musste es hier und jetzt stattfinden, denn Noah hatte noch einen anderen Grund, weshalb er alles von ihr erfahren musste. Falls sie etwas gehört oder gesehen hatte, egal wie unbedeutend es erscheinen mochte, könnte es von enormer Wichtigkeit sein.
Der Truck würde höchstwahrscheinlich innerhalb der nächsten paar Tage eintreffen. Deshalb musste Samara gleich reden und Noah ihren Zustand einschätzen können. Was er plante, war nicht schön, aber notwendig.
Samara musste weit weg sein, bevor die anderen Mädchen ankamen. Sie hatte bereits zu viel durchgestanden. Ihr ein weiteres Trauma zuzumuten wollte Noah auf keinen Fall riskieren. Entsprechend hatte für ihn oberste Priorität, sie von diesen Schweinen fortzubringen.
Die Badezimmertür ging auf, und Samara kam heraus. Die Blutergüsse in ihrem Gesicht leuchteten grün und blau auf der cremeweißen Haut. Die Striemen an ihrem Körper verheilten und wandelten sich ebenfalls zu hässlichen Hämatomen. Die Heilsalbe, die er ihr zwei- bis dreimal täglich aufgetragen hatte, verhinderte eine mögliche Infektion der zahlreichen Schnitte und Kratzer, einschließlich der Schürfwunden an ihren Füßen. Jedes Mal, wenn er sie ansah, regte sich unbändiger Zorn in ihm. Er konnte sich nur allzu gut vorstellen, wie sie zu ihren Verletzungen gekommen war, trotzdem wollte er es von ihr hören. Und er wusste nach wie vor nicht, ob sie vergewaltigt worden war.
»Fühlst du dich besser?«
Ihre Lippen, immer noch rissig und geschwollen, bogen sich zu einem Lächeln, sodass Noah prompt ein Stechen in der Brust fühlte. Verdammt, sie versuchte, ihn zu beruhigen!
»Viel besser, danke.« Sie hatte das saubere T -Shirt angezogen, das er ihr gegeben hatte, und ging mit wackligen Schritten zum Bett. Obwohl er wusste, dass sie mit aller Macht um
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