Wenn die Seele nicht mehr leiden kann - Gewalt in der Ehe (German Edition)
zu lieben. Doch sich so zu akzeptieren, wie man geschaffen wurde, lernt man nicht an einem Tag. Ich musterte mich und zog mir mein altes T-Shirt über den Kopf. Ich schämte mich bei meinem Anblick. Im Spiegel sah ich eine junge Frau mit blonden, strähnigen Haaren, ungesundem Teint und einem stumpfen Blick, der durch die dunklen Ringe unter den Augen noch verstärkt wurde. Ich senkte den Blick, bis er an meinen Brüsten hängen blieb, die ich vor jedermann verbarg, ich hasste sie.
Im Stillen hatte ich mich stets über diese schlappen Hautlappen lustig gemacht, die wie traurige Dackelohren an meinem knochigen Brustkorb hingen. Ich wusste, dass sich das Glück auch durch eine Brustoperation nicht kaufen ließ, denn wirkliches Glück und tiefe Zufriedenheit waren erst möglich, wenn die Wunden der Seele geheilt wurden. Doch ich war jetzt einundzwanzig, und meine Kleider hingen formlos an mir herunter. Ich hatte keinerlei weibliche Rundungen, und als mir dies abermals bewusst wurde, musste ich an ein Erlebnis vor ein paar Monaten denken, das mir immer noch die Röte ins Gesicht trieb.
Ich war in einem Dessougeschäft in Garching gewesen und hatte mir hübsche Unterwäsche kaufen wollen, etwas Verspieltes mit Spitze und Verzierungen. Als ich in der Umkleidekabine stand, um die Büstenhalter anzuprobieren, die ich ausgewählt hatte, kam die Verkäuferin zu mir herein und fragte mich mit einem Räuspern, ob sie mir helfen könne.
„Ja, gern“, antwortete ich.
„Dann machen Sie mal Ihren Oberkörper frei“, sagte sie.
Ich erstarrte. „Sie meinen, ich soll mich nackt ...?“
„Aber natürlich, sonst können Sie doch keinen BH anprobieren.“
Dass sie die Größe meines Busens maß, war ein ungeheuerlicher Vorgang für mich, der jedoch auch etwas Erniedrigendes hatte. Als sie sich auch noch über mich lustig machte, verlor ich vollends die Fassung.
„Wissen Sie, da passt nicht mal ein A-Cup. Ich hole Ihnen lieber ein paar Sport-BHs.“
Pfui Teufel, diese grausamen Sport-BHs würden mich noch hässlicher und unweiblicher machen! Ich schauderte, wenn ich jetzt vor dem Spiegel in Moosach an diese Episode zurückdachte. Ich musste auch daran denken, welche Macht Worte haben können. Wie merkwürdig war es doch, dass diese harmlose Äußerung der Verkäuferin sich so tief in mein Bewusstsein gefressen hatte.
Ich holte tief Luft und wusste in diesem Moment, dass ich bereits einen Entschluss gefasst hatte. Ich würde etwas an dem verändern, was ich sah. Ich würde mit dem Äußeren beginnen, um mich danach dem Inneren zuzuwenden, was deutlich mehr Zeit erforderte. Denn mit einem veränderten und verbesserten Äußeren würde ich in der Lage sein, meiner Umwelt mit größerem Selbstvertrauen zu begegnen. Ich würde damit beginnen, lange Spaziergänge zu machen und mich gesund zu ernähren. Wenn ich mich der Vergangenheit stellte, musste ich stärker sein als je zu vor. Woher ich den Mut und die Kraft nahm, weiß ich nicht, doch ein Löwe in mir hatte sich mit lautem Knurren zu Wort gemeldet. Ich wollte das zurückerobern, was mir zustand, meine Freiheit und mein Selbstwertgefühl. Um andere zu lieben, muss man sich selbst lieben können. Ich würde die Stärkste der ganzen Welt werden - David zuliebe!
Das soll kein Plädoyer für Schönheitsoperationen sein, doch für mich war es die richtige Entscheidung. Es war der erste tastende Schritt auf einem Weg, der es mir schließlich ermöglichte, meine inneren Dämonen zu besiegen. Ich sprach mit Lena darüber und sie gab mir den Rat, einen Frauenarzt aufzusuchen und mich beraten zu lassen.
Doktor F. war ein älterer Mann mit Erfahrung. Er lächelte mich freundlich an und sagte, dass in meinem Fall die Krankenkasse bestimmt den Brustaufbau bezahlen würde. Und ich hatte Glück. Die Krankenkasse zahlte!
Von den Mitarbeiterinnen des Wohnheims wurde meine Entscheidung mit gemischten Gefühlen zur Kenntnis genommen, doch ich war fest entschlossen, meinen Plan in die Tat umzusetzen, ganz gleich, was andere darüber dachten. Ich brauchte die Unterstützung von jemand, der ein wenig abseitsstand und nicht versuchen würde, mich zur Vernunft zu bringen. Und wer wäre da besser geeignet gewesen als mein Vater Albert. Er war wie geschaffen für diese Aufgabe.
Schließlich war er selbst wie ein ungezügeltes Pferd und ließ sich von niemandem Vorschriften machen, wie er sich zu verhalten habe. Dafür kritisierte er aber auch andere Leute nicht für ihr Verhalten. Ich hatte
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