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Wenn die Seele nicht mehr leiden kann - Gewalt in der Ehe (German Edition)

Wenn die Seele nicht mehr leiden kann - Gewalt in der Ehe (German Edition)

Titel: Wenn die Seele nicht mehr leiden kann - Gewalt in der Ehe (German Edition)
Autoren: Marita R. Naumann
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während wir in Höchstgeschwindigkeit an Dörfern und Bauernhöfen vorbeischossen.
    Nachdem ich mich in Dr. S. Büro angemeldet hatte, wurden mir schwarze Striche auf den nackten Oberkörper gemalt. Ich fragte nicht danach, wie groß die Implantate sein würden. Ich bat ihn nur darum, meine schlaffen Hautsäcke aufzufüllen. Ich bekam eine Tablette sowie ein Glas Wasser, dann erinnere ich mich bloß noch daran, dass ich mich in meinem am Rücken offenen OP-Hemdchen auf die kalte Pritsche legte und gebeten wurde, bis zehn zu zählen.
    Der Tag danach war wie ein böser Traum. Nur kurze Sequenzen sind mir in Erinnerung geblieben. Einmal kam ich mir vor wie in einem knisternden alten Stummfilm.
    Dann wieder lag ich auf der Rückbank des Autos, während mein Papa unentwegt Süßigkeiten naschte. Ich war mir sicher, dass er aus Spaß über die gefrorenen Äcker jagte. In einer anderen Sequenz wachte ich schwitzend auf, während sich ein Musketier und eine Nonne über mein Bett beugten. Der Musketier versuchte mich mit einem hauchdünnen Brotfladen zu füttern, während die Nonne ein Holzkreuz vor meinem Gesicht hin und her schwenkte. Danach fiel ich wieder in Schlaf und wachte erst auf, als Dr. S. und der Narkosearzt mich am nächsten Morgen besuchten, um zu sehen, wie es mir ging. Sie kontrollierten meinen Blutdruck und entfernten die dünnen Schläuche, die sie mir sicherheitshalber unter dem Brustverband gelegt hatten, falls es in der Nacht zu Nachblutungen gekommen wäre. Ich bekam ein Rezept und die strenge Anweisung, nichts Schweres zu heben, mich zu schonen und nach einer Woche zur Kontrolle zu kommen.
    Wieder zurück in Moosach, verabschiedete ich mich von meinem Vater, konnte ihn aber aus verständlichen Gründen nicht richtig umarmen. Papa gab mir einen kleinen Umschlag.
    „Hier, Luisa, da ist eine Kopie des Briefs, den ich Mati geschickt habe. Lies ihn später, wenn du willst. Wir hatten ab und zu Briefkontakt, während er im Gefängnis saß. Soviel ich weiß, ist er inzwischen in ein anderes Gefängnis verlegt worden.“
    „Ja, ja, Papa, ich werde ihn später lesen“, entgegnete ich. „Jetzt bin ich zu müde dazu. Ich weiß, dass du immer das Beste von allen Menschen denken willst. Aber wie sehr er auch behauptet, dass er alles bereut und sich geändert hat, du darfst ihm auf keinen Fall sagen, dass wir uns getroffen haben! Du kennst ihn nicht so, wie ich ihn kenne, und du weißt nicht einmal die Hälfte von den Dingen, die in den letzten Monaten passiert sind.“
    „Ich bin nicht so naiv, wie du glaubst, liebe Tochter. Du kannst sicher sein, dass ich ihm ordentlich auf den Zahn fühle. Aber niemand wünscht sich so sehr wie ich, dass du in Ruhe und Frieden leben kannst.“
    Wir versprachen einander, in Kontakt zu bleiben. Ich wollte mich bei ihm melden, wenn ich auf dem Wege der Besserung war.
    Die nächste Woche verging schnell. Dann nahmen David und ich den Bus nach Mindelheim, damit der Arzt mir den Verband abnehmen konnte. Während der Fahrt waren wir strahlender Laune. Wir alberten herum, ich sang lauthals Kinderlieder, und David hielt sich kichernd die Ohren zu.
    „Au, Mama, nicht singen ... meine Ohren!“
    Ich kitzelte ihn und sang noch lauter. Die Leute müssen mich für verrückt gehalten haben, aber das kümmerte mich kein bisschen.
    Als der spannende Moment kam, in dem die Bandage abgenommen wurde, wagte ich kaum aufzublicken. Ich wollte meinen neuen Busen erst richtig begutachten, wenn ich allein vor dem Spiegel stand.
    Daran erinnere ich mich allerdings, als sei es gestern gewesen. Ich saß in der Badewanne und seifte mich vorsichtig ein. Mit den Fingerspitzen berührte ich zögerlich die Außenseite meiner Brüste. Meine Hände richtig um sie zu schließen, wagte ich immer noch nicht. Es war ein unwirkliches Gefühl, so als gehörten sie zu mir und doch wieder nicht. Ich stand in der Wanne auf, trocknete mich jedoch nicht ab. Ich blieb so lange vor dem Spiegel stehen, bis dieser nicht mehr beschlagen war. Meinetwegen hätten die Schmerzen nach der Operation ein Leben lang anhalten können, nur um diesen einen Augenblick zu erleben, in dem ich erstmals mein neues Spiegelbild sah. Das Glücksgefühl war so überwältigend, dass ich nicht einmal weinen konnte. Ich weiß nicht, wie lange ich so vor dem Spiegel stand. Ich weiß nur noch, welche Worte mir ununterbrochen durch den Kopf gingen: wie schön du bist ...

    Neunzehntes Kapitel

    Nachts hatte ich immer noch Albträume. Ich wurde
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