Wenn die Seele nicht mehr leiden kann - Gewalt in der Ehe (German Edition)
verfolgt, konnte aber nicht weglaufen. Aus irgendeinem Grund waren meine Beine nicht in der Lage, sich zu bewegen. Der dunkle Schatten kam näher und näher, dann spürte ich, wie sich klauenartige Finger um meinen Hals legten. Der Druck nahm zu, bis ich irgendwann zu Boden stürzte. Der Traum war immer derselbe. Irgendwann wachte ich schreiend auf.
Ich kam mir vor wie ein Hamster im Laufrad. Tagaus, tagein musste ich strampeln. An manchen Tagen fühlte ich mich stark, an anderen furchtbar schwach. Doch zumindest hatte ich genug Kraft, irgendwann den Brief zu öffnen, den mein Vater mir mitgegeben hatte. Ich las:
Lieber Mati,
dies ist der wichtigste und schwierigste Brief, den ich je schreiben musste. Wer hätte gedacht, dass sich die Dinge so schrecklich entwickeln würden? Ich zumindest nicht. Es macht mich sehr traurig, dass der gute Kontakt, den ich mir Dir, Mati, mit Luisa und David hatte, zerstört ist. Dass Luisa gezwungen war, mit ihrem Kind zu flüchten, und sich jetzt irgendwo versteckt, weil sie um ihr Leben fürchtet, ja, dass nicht einmal ihre Familie weiß, wo sie sich aufhält, weil die Polizei dies für notwendig erachtet, dass ist ganz und gar unakzeptabel! Wenn eine Scheidung ein notwendiges Übel geworden ist, muss man sie auf eine Art und Weise bewältigen, die so wenig Schaden anrichtet wie möglich. Frauen und Kinder sind sehr verletzliche Geschöpfe, Mati, starke Männer müssen das verstehen. Ein wirklich starker Mann ist der, der sein Gemüt zähmen kann. Er ist stärker als derjenige, der eine ganze Stadt einnimmt. Wer seine Entscheidungen trifft und danach handelt, braucht einen kühlen Kopf. Die jetzige Situation ist, wie sie ist, doch wir können selbst entscheiden, wie sich alles in Zukunft entwickeln soll.
Hier gilt es, klug und durchdacht zu handeln, statt sich von Rachegedanken, Wut und Hass leiten zu lassen. Vieles steht auf dem Spiel. Wir können gemeinsam für eine gute Zukunft sorgen. Vor allem geht es dabei um David. Du musst daran denken, was für ihn das Beste ist. Er hat ein Recht auf seine Mama, und er braucht sie. Er braucht auch Dich und uns alle. Seinetwegen musst du dich für einen Weg entscheiden, der von Reife, innerer Stärke, Umsicht, Verantwortungsgefühl und Großmut geprägt ist. Du hast die Wahl, ob Du Gott oder dem Teufel dienen willst. Du kannst einst als Held in die Geschichte eingehen, dessen man mit Liebe und Respekt statt mit Furcht, Hass und Verachtung gedenkt. Lass Deinen Sohn froh und stolz auf Dich sein, statt ihn seines Vaters zu berauben. Du verstehst doch sicher, wie abhängig er von seiner Mama ist. Gib ihm die Chance, sich zu einem selbstbewussten Menschen zu entwickeln, der mit sich selbst in Einklang ist. Du würdest ihm einen unsagbaren Schaden zufügen, wenn Du seiner Mutter, meiner geliebten Tochter, etwas antust. Und Du willst doch wohl nicht, dass er sich zu einem verbitterten, verhärteten und hasserfüllten Jungen entwickelt.
Lass die Dinge ein wenig ruhen, und lade nicht noch mehr Schuld und Probleme auf Deine Schultern. Wir werden das ernten, was wir gesät haben, und alles fällt auf uns selbst zurück. Zeige, dass Du ein Mann bist, dem man vertrauen kann. Dann, du wirst sehen, wird sich alles zum Besten für Dich, David und Luisa entwickeln. Auch wenn wir keine Familie mehr sind, so können wir doch Freunde sein und dafür sorgen, dass die Zeit alle Wunden heilt.
Ich weiß, dass Du ein großer Mann sein kannst, wenn Du willst, wenn Du den Weg der Gewalt verlässt und an die denkst, die ich liebe, an David.“
Ich hatte beschlossen, mit David wieder nach Garching in unsere Wohnung zurückzugehen. Ich hatte die Nase voll, immer auf der Flucht zu sein.
Ich packte meine Sachen zusammen und ging ins Büro, um mit Lena zu sprechen. Ich sagte ihr, dass ich mir vollkommen darüber im Klaren sei, welches Risiko ich einginge, doch ich wollte mich nicht mehr verstecken.
David freute sich auf seine Fische und auf Rebecca und Norbert, die uns freundlich willkommen hießen.
Etwas später kam auch Johannes, mit dem ich telefoniert hatte.
Am nächsten Tag kam ein Anruf von Papa Albert. Mati hatte ihm geschrieben. Er mache jetzt eine Therapie und er bedaure sehr, was er mir angetan hatte. Ihm ginge es nicht sehr gut, er habe Sehnsucht nach seinem Sohn und er würde mich gerne mal sprechen. Ob ich ihm im Gefängnis besuchen könnte!
Ich war schockiert. Was dachte Mati sich? Hatte er all das vergessen, was er mir angetan hatte und immer noch
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