Wenn Die Seele Verletzt Ist
ist der Erkrankte überhaupt nicht ansprechbar oder es gelingt nicht, mit ihm auf der Ebene zu kommunizieren, auf der man sich selbst bewegt und die allgemein als real gilt. Dazu ein Beispiel aus unserer Praxis:
Eine Klientin, die sich zum Familienstellen angemeldet hat und die wir nur flüchtig kennen, ruft einige Stunden vor Seminarbeginn an und bittet uns, ihr für einen Freund 5000 Euro zu leihen. Sie habe ihm die Summe bereits gegeben, doch leider habe er das Geld verloren und brauche nun dringend neues. Wir lehnen natürlich ab und machen uns auf einiges gefaßt. Die Frau erscheint zum Kurs. Sie ist bester Laune, aufgedreht, lacht laut, und als wir sie auf ihre Bitte ansprechen, erklärt sie, das Geld sei für einen Zigeuner bestimmt, einem Mitglied des Clans, in dem sie ab jetzt leben werde; er brauche es unbedingt für ein außerordentliches Projekt. Sie akzeptiert unsere Ablehnung und läßt sich nur ganz allgemein über die Herzlosigkeit und die mangelnde Hilfsbereitschaft der Menschen aus.Sie will als erste aufstellen und berichtet, sie habe die Liebe ihres Lebens getroffen, eben diesen Zigeuner. Sie habe ihren Mann verlassen und werde mit ihren schulpflichtigen Kindern zu ihm in sein Camp ziehen. Damit ihrem Mann die Trennung nicht so schwerfalle, habe sie aus den USA ein schwarzes Callgirl einfliegen lassen; die Dame befinde sich bereits im Flugzeug. Meinem Mann und mir ist klar, daß wir es mit einer psychisch kranken Frau zu tun haben, die an einer akuten Manie leidet. Alle Versuche, sie auf einer realen Ebene anzusprechen, schlagen fehl. Wir unterbrechen die Aufstellung kurz und beratschlagen, was in diesem Falle zu tun sei. Da wir die Frau nicht erreichen, können wir nur versuchen, den noch sehr jungen Kindern möglicherweise traumatische Trennungserlebnisse vom Vater und das Herausreißen aus ihrer normalen Umgebung zu ersparen. Dazu müssen wir so tun, als teilten wir die Realität der Klientin.
Sie stellt auf, und die Double ihrer Kinder melden zurück, daß sie sich im Zigeunerlager überhaupt nicht wohl fühlen und zurück zu ihrem Vater wollen. Uns gelingt es, die Frau davon zu überzeugen, daß die Kinder sie bei ihrem neuen Lebensglück nur behindern würden. Sie stimmt uns begeistert zu, die Kinder beim Vater zu lassen und das Abenteuer ihres Lebens alleine zu bestreiten.
Nach der Aufstellung sprechen wir sie auf die hohe Erregung an, in der sie sich befindet. Wir schlagen ihr vor, lieber nach Hause zu gehen und sich auszuruhen. Diesen Vorschlag nimmt sie dankbar an. Wir stellen sicher, daß ein Freund der Familie den Ehemann benachrichtigt. Mehr können wir nicht tun. Die Frau litt offensichtlich an einer akuten Manie. Wenn sie gesund war, erfüllte die Akademikerin ihre Aufgaben in einem anspruchsvollen Beruf und in der Familie ohne Schwierigkeiten. Jetzt war sie aus der Realität herausgekippt und befand sich in einem Zustand äußerster Euphorie und Erregung. Sie schlief kaum, aß wenig und unregelmäßig und war der Überzeugung, alles erreichen zu können. Ihre Aktion mit dem schwarzen Callgirl aus New York erschien ihr als geeignete Lösung, ihren Mann über den Verlust seiner Frau hinwegzutrösten.
Im ICD 10 lesen wir in Kapitel F 30.1 über die Manie: „Die Stimmung ist situationsinadäquat gehoben und kann zwischen sorgloser Heiterkeit undfast unkontrollierbarer Erregung schwanken. Die gehobene Stimmung ist mit vermehrtem Antrieb verbunden und führt zu Überaktivität, Rededrang und vermindertem Schlafbedürfnis. Übliche soziale Hemmungen gehen verloren. Die Selbsteinschätzung ist überhöht, Größenideen und maßloser Optimismus werden frei geäußert... Die betreffende Person kann überspannte und undurchführbare Projekte beginnen, leichtsinnig Geld ausgeben oder bei völlig unpassender Gelegenheit aggressiv, verliebt oder scherzhaft werden... Die Episode dauert wenigstens eine Woche und ist schwer genug, um die berufliche und soziale Funktionsfähigkeit mehr oder weniger vollständig zu unterbrechen.“
Häufig schlägt die manische Phase nach wenigen Tagen oder Wochen in eine meist viel länger andauernde Depression um. Wenn sich dieser Zyklus zweimal wiederholt hat, spricht man laut ICD 10 Kapitel F 31 von einer bipolaren affektiven Störung, das heißt, daß die Emotionen zwischen Euphorie und Depression schwanken. Die Betroffenen berichten nach dem manischen Schub übereinstimmend, daß sie in dieser Phase nicht wirklich glücklich waren. Sie befinden sich im
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