Wenn Die Seele Verletzt Ist
man erst dann annehmen, wenn man gelernt hat, alle emotionalen Angebote als Inszenierung des familiären Mißbrauchs zu verstehen. Dies ist ohne ständige Eigensupervision kaum machbar, da diese Klienten über ein beträchtliches dramatisches Potential verfügen. Da diese Menschen schwer traumatisiert sind, sind sie in einer Klinik, möglicherweise auch ambulant bei einem erfahrenen Therapeutenteam, am besten aufgehoben.
Das folgende Fallbeispiel aus eigener Praxis enthält nahezu alle psychischen Befindlichkeiten einer Borderline-Störung:
Eine junge Frau berichtete mir von einer wahren Horrorkindheit. Der Vater war unbekannt, die Mutter war als Trinkerin umhergezogen und hatte sich überhaupt nicht um ihr sechs Monate altes Kind gekümmert. Das von Nachbarn alarmierte Jugendamt brachte das völlig vernachlässigte kleine Mädchen in einem Heim unter. Sechs Jahre später kam das Kind zu seiner Großmutter, von der es täglich Schläge und massive Abwertungen erdulden mußte. Ständig mußte es dafür sorgen, weder mit seinem Onkel noch mit dem Großvater allein zu sein, da beide es sexuell mißbrauchten. Das Mädchen entzog sich diesem Mißbrauch, indem es schon mit acht Jahren tage- und nächtelang auf der Straße zubrachte. Obwohl weder Mutter noch Großmutter sie vor den Übergriffen schützten, meinte die Klientin, sie trage ihnen nichts nach. Sich und vor allem ihren Körper haßte sie dagegen.Obwohl mir eine hübsche, schlanke Frau gegenübersaß, beschrieb sie sich als fett und häßlich. Sie litt an schwersten Depressionen, nahm regelmäßig Drogen und hatte Panikattacken.
Andererseits hatte sie immer wieder Episoden, in denen sie sich als ganz besonderer Mensch fühlte, glaubte, eine Auserwählte zu sein und über tiefe Einsichten und Wahrheiten zu verfügen. Deshalb fühlte sie sich im Recht, ihren Mitmenschen alles an den Kopf zu knallen, was sie für wahr hielt. Kein Arbeitgeber hatte sie lange beschäftigen können, weil sie es binnen kurzer Zeit schaffte, alle gegen sich aufzubringen. Sie manipulierte gnadenlos und reagierte auch bei mir mit wilden Wutausbrüchen und Weglaufen, wenn ich nicht genauestens auf ihre Vorgaben einging. Ich wurde in Sekunden zur Feindin, die sie erbittert bekämpfte. Gleichzeitig weigerte sie sich, nötige Medikamente einzunehmen. Da sie sich weigerte, auf Drogen zu verzichten, sah ich keine Chance für einen guten Verlauf einer Therapie und verwies sie an eine geeignete Klinik.
Die Posttraumatische Belastungsstörung
Die Posttraumatische Belastungsstörung wird im ICD 10 unter den „Reaktionen auf schwere Belastungen und Anpassungsstörungen F 43 - 43.9“ aufgeführt. Der Unterschied zu anderen Störungen besteht darin, daß es einen eindeutigen Grund gibt, von dem die Störung ausgelöst wurde: „Ein außergewöhnlich belastendes Lebensereignis, das eine akute Belastungsreaktion hervorruft, oder eine besondere Veränderung im Leben, die zu einer anhaltend unangenehmen Situation geführt hat und schließlich eine Anpassungsstörung hervorruft.“
Der ICD 10 unterscheidet die akute von der posttraumatischen Reaktion. Die akute Reaktion tritt nach außergewöhnlichen körperlichen und/oder seelischen Belastungen auf, z.B. nach Naturkatastrophen, Unfällen, Krieg, Gewaltverbrechen, einem Wohnungsbrand, aber auch dem plötzlichen Tod eines geliebten Menschen. Ausdrücklich erwähnt wird hier auch der plötzliche, nicht vorhersehbare Verlust der sozialen Stellung, der durch eine Kündigung der Arbeitsstelle hervorgerufen werden kann. Akute Krisen werden im allgemeinen von Therapeuten angemessen begleitet, wobei es auch hier wichtig ist, die traumatische Komponente des Geschehens zu berücksichtigen, um eine Chronifizierung der Symptome zu vermeiden. Insbesondere ist es wichtig, die möglicherweise abgespaltenen Gefühle aufzuspüren und erlebbar zu machen.
Wenn dies versäumt wird oder wenn die Traumatisierung in der Kindheit geschah und abgespalten wurde, kommt es zu einer verzögerten emotionalen Reaktion. Die Menschen fühlen sich betäubt und stumpf wie unter einer Käseglocke. Sie lassen sich nicht wirklich auf ein soziales Leben ein, meiden andere Menschen und verzichten auf Aktivitäten. Nachts werden sie von Alpträumen geplagt, in denen sie die traumatische Situation immer wieder erleben. Diese Erinnerungen können sich auch tagsüber plötzlich aufdrängen. Die Betroffenen sind sehr erregt, häufig ängstlich oder depressiv und Suizidgedanken
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