Wenn die Sinne erwachen - Teil 2 (German Edition)
Chandler hatte
ihre Fassung wiedererlangt. Ihre veilchenvioletten Augen ruhten kalt
und unergründlich auf dem rotgesichtigen, gedrungenen Mann, den sie
vor mehr als siebzehn Jahren geehelicht hatte. Unter ihrem
hoheitsvollen Blick fühlte sich Charles Chandler wie immer
unbehaglich. Diese Frau gab ihm unmissverständlich zu verstehen,
dass sie nicht auf einer Stufe miteinander standen. Dabei war sie der
Emporkömmling! Er, der vierte Earl of Falmouth, hatte sie durch die
Ehe in den Stand einer Countess erhoben! Er errötete vor Zorn, wenn
er daran dachte, wie sie ihm das gedankt hatte. Mit einem Bastard!
„ Und
egal wie hartnäckig und oft Ihr es noch leugnen werdet, werte Gattin
– Ihr habt mir ein Kuckucksei ins Nest gelegt. Die Vögel pfeifen
es schon seit Jahren von den Dächern! Jeder Baum hier im Wald hat
mehr Ähnlichkeit mit mir, als Euer verdammter Sohn!“ Charles
Chandler schnaufte wütend. Der Gedanke daran, dass dieser Bastard,
der ganz offensichtlich nicht von seinem Fleisch und Blut war, ihn
beerben und einmal seinen Titel tragen sollte, machte ihn rasend.
Sein fleischiges Gesicht wurde noch röter, als es von Natur aus
ohnehin schon war.
Sein
Blick glitt über die Frau, die zwar seinen Namen trug, ihm zwei
Söhne geboren hatte, seit über siebzehn Jahren auf seinem Landsitz
lebte, und ihm dennoch vollkommen fremd geblieben war. Sie erinnerte
ihn auf fatale Weise an eine jener marmornen Madonnen-Statuen, wie
sie in Kirchen herumstanden. Diese waren genau wie Lillian Chandler:
schön, unnahbar und kalt wie Eis.
Charles
Chandler erschauerte bei der Erinnerung, wie es sich angefühlt
hatte, wenn er ihr in den Anfängen ihrer Ehe beigewohnt hatte. In
der Hochzeitsnacht hatte sie sich gewunden und geschrien, das Laken
war anschließend blutbefleckt gewesen. Ein Zeichen dafür, dass sie
als Jungfrau in die Ehe gegangen war. Danach hatte sie immer
stocksteif, mit abgewandtem Kopf unter ihm gelegen und notgedrungen
die ehelichen Pflichten über sich ergehen lassen. Anfangs hatte ihn
das nicht gestört, denn er war völlig vernarrt in sie und ihre
veilchenvioletten Augen gewesen. Er hatte sein Glück kaum fassen
können, als sie ausgerechnet seinen Heiratsantrag angenommen hatte.
Denn Lillian Fowley, wie sie damals noch hieß, hatte nach ihrem
Debüt sehr lukrative Heiratsanträge erhalten. Kein Wunder! Denn ihr
Vormund, John Scott, der sechste Duke von Exeter, war nicht nur ein
Freund von König George, dem Dritten, sondern wurde auch als
künftiger Lord Chancellor gehandelt. Grund genug, dass die
mittellose Lillian Fowley, auch von anderen einflussreichen Familien
ins heiratspolitische Kalkül miteinbezogen worden war. Doch Lillian
Fowley hatte sich zur großen Überraschung aller, ausgerechnet für
ihn, den jungen, damals noch unbeholfenen und unbedarften Charles
Chandler entschieden.
Ihre
Ehe war von Anfang an von kühler, distanzierter Höflichkeit geprägt
gewesen. Doch je länger die Ehe dauerte, umso kälter wurde es in
ihr. Edan, ihr erstgeborener Sohn, kam auf den Tag genau neun Monate
nach der Hochzeit zur Welt. Zwei Jahre später folgte William. Danach
hatte ihm Lillian unmissverständlich zu verstehen gegeben, dass
damit ihre Pflichten als Mutter und Ehefrau erfüllt waren. Von dem
Tag an, blieben ihre Gemächer für ihren Gatten verschlossen. Sie
hatte ihn sogar ganz offen dazu aufgefordert, seine „Brunst“, wie
sie es nannte, künftig bei einer Mätresse zu stillen. Anfangs hatte
Charles Chandler gebrüllt wie ein wütender Stier, als sie ihn
ausgeschlossen und den Mägden befohlen hatte, sich zu ihm ins Bett
zu legen. Doch sein Zorn hatte sich ebenso rasch wieder gelegt, als
sich nach langer Zeit zum ersten Mal wieder ein Frauenkörper warm
und willig an ihn schmiegte; seine Triebe nicht nur erduldete,
sondern sogar erwiderte.
Von
da an gingen sich die beiden Eheleute noch mehr aus dem Weg – bis
es unmöglich wurde, das Getuschel der Leute und des Personals weiter
zu ignorieren. Charles Chandler wollte es am Anfang selbst nicht wahr
haben, aber die Indizien waren erdrückend und einfach nicht mehr von
der Hand zu weisen: Sein ältester Sohn, Edan, war ganz
offensichtlich ein Kuckuckskind!
Die
Chandlers waren bekannt dafür, dass sie ihr rotes Haar jedem
Nachkommen vererbten, egal ob Junge oder Mädchen. Über Generationen
hinweg hatte sich diese auffällige rotbraune Haarfarbe immer wieder
durchgesetzt, genauso wie die gedrungene Statur, die Sommersprossen
und die fleischfarbene,
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