Wenn die Sinne erwachen - Teil 2 (German Edition)
Kriegsschiffes der königlichen Marine, stand die
Todesstrafe.
Doch Withcomb, der als
Midshipman für die Kommunikation zwischen der Mannschaft und den
Offizieren zuständig war, konnte nicht mehr länger still halten. In
der Mannschaft rumorte es gewaltig. Seit Albert
Pickett, der neue Captain der Royal Sun, vor sechs Wochen seinen Fuß
an Bord der Fregatte gesetzt hatte, wehte der Geruch von Angst und
Blut über das Schiff. Als erste Amtshandlung hatte Pickett der
Mannschaft vorlesen lassen, welche Strafen sie unter seinem Kommando
zu erwarten hatten. Selbst ein so geringes Vergehen wie „gegen den
Wind spucken“, zog künftig fünf Peitschenhiebe nach sich. Ein
ungutes Raunen war durch die Reihen der angetretenen Seeleute
gegangen. Die ersten bekamen jetzt eine Ahnung davon, warum manches
britische Kriegsschiff als „schwimmende Hölle“ bezeichnet wurde.
Ein britischer Captain war Gott auf seinem Schiff und hatte auch
dessen unumschränkte Allmacht.
Pickett
war ein mittelgroßer Mann, mit kleinem Bauchansatz. Auf seinem
prächtigen blauen Kapitänsrock, mit den beigefarbenen Aufschlägen
wetteiferten die golden Knöpfe mit den goldfarbenen
Schulterepauletten um die Wette. Auf seiner Brust prangten
unübersehbar zwei Orden für Tapferkeit und Mut vor dem Feind. Seine
wasserblauen Augen lagen tief in den Höhlen und hatten einen seltsam
unsteten Blick. Er hatte die vierzig bereits überschritten, hatte in
der sagenumwobenen Seeschlacht von Trafalgar unter Horatio Nelson
gekämpft, war schwerverletzt worden und zog seitdem sein linkes Bein
etwas nach. Das tat seinem arroganten, selbstherrlichen Auftreten
jedoch keinen Abbruch. Jeden Morgen beim Appell begrüßte er seine
Mannschaft ganz offen als „Abschaum der Erde“. Alles an diesem
Captain war extrem: sein messerscharfer Verstand, seine Arroganz,
sein Ehrgeiz, sein Stolz, vor allem aber seine Härte und
Grausamkeit. Pickett hatte eine sehr ungewöhnliche Karriere hinter
sich. Als Sohn eines Schreiners, hatte er es geschafft, sich vom
einfachen Matrosen bis zum Rang eines Captains hochzuarbeiten. Eine
solche Karriere war höchst selten, denn Offiziersposten waren meist
adligen Sprösslingen vorbehalten, selbst wenn diese zum Seemann gar
nicht taugten. Trotz seines unbestrittenen Erfolges hatte Pickett
jedoch immer das Gefühl, von adligen Offizieren nie wirklich als
ihresgleichen anerkannt zu werden. Er schrieb dies dem Makel seiner
niederen Geburt und der Überheblichkeit des Adels zu. Allen
Offizieren, die er befehligte, war das Offizierspatent kraft Geburt
in den Schoß gelegt worden. Mit Ausnahme seines jetzigen ersten
Offiziers! Dieser Mann war ihm damit jedoch noch viel weniger
geheuer, als all die anderen bornierten blaublütigen Offiziere an
Bord. Denn Edan Chandler, Viscount of Truro, war zwar ebenfalls von
hoher Geburt, dennoch hatte ihn sein eigener Vater, als einfachen
Matrosen an die Royal Navy verkauft. Trotzdem hatte es dieser
dunkelhaarige Hüne irgendwie geschafft, mit knapp einundzwanzig
Jahren in die Position eines ersten Offiziers erhoben zu werden.
Pickett,
der für sein Kapitänspatent zwanzig Jahre lang hart hatte schuften
müssen, fühlte sich einmal mehr in seinen Vorurteilen gegenüber
dem Adel und dessen Seilschaften bestätigt. Denn Chandler war bis
vor kurzem noch der Protégé von Picketts Vorgänger, Captain George
Flack, gewesen. Dieser soll den jungen, wilden Viscount, auf
ausdrücklichen Wunsch seiner Mutter, Lillian Chandler, unter seine
Fittiche genommen und ihm die Türen nach oben aufgehalten haben.
Pickett
hatte für so offensichtliche Günstlingswirtschaft nur tiefste
Verachtung übrig. Mit Argusaugen beobachtete er deshalb die Arbeit
seines ersten Offiziers, immer in der Hoffnung, ihn für
Nachlässigkeit oder Unfähigkeit vor versammelter Mannschaft tadeln
zu können. Doch zu Picketts Ärger war Chandler, trotz seines
vergleichsweise jugendlichen Alters, ein hervorragender Nautiker und
umsichtiger Seemann. Er kannte die „Royal Sun HMS“ besser, als
jeder andere auf diesem Schiff. Er wusste, wie hart man die
schnittige Fregatte am Wind segeln konnte, ohne dass auch nur ein
einziges der vielen Segel Schaden nahm. Er kannte jede Schwachstelle
des Schiffs, vom Kiel aufwärts bis zu den Wanten der Takelage und er
war ein hervorragender Navigator. So sehr Pickett auch suchte, das
Einzige was er an Chandlers Arbeit bemängeln konnte, war nur dessen
Verhältnis zur Mannschaft! Sein schwer durchschaubarer
Weitere Kostenlose Bücher